Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 026 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
Verknüpfungen:
|
|
||||
01 | sie wahrscheinlicher Weise sich entschuldigen würden. Gleichwohl | ||||||
02 | liegt es doch in der Natur der Grundsätze dieser Volkslehrer, die Richtigkeit | ||||||
03 | ihrer Versicherung keineswegs bezweifeln zu lassen, welches sie freilich | ||||||
04 | um desto sicherer thun können, weil sie in diesem Leben keine Widerlegung | ||||||
05 | derselben durch Erfahrung befürchten dürfen. | ||||||
06 | C. |
||||||
07 | Eigenthümlichkeit der medicinischen Facultät. |
||||||
08 | Der Arzt ist ein Künstler, der doch, weil seine Kunst von der Natur | ||||||
09 | unmittelbar entlehnt und um deswillen von einer Wissenschaft der Natur | ||||||
10 | abgeleitet werden muß, als Gelehrter irgend einer Facultät untergeordnet | ||||||
11 | ist, bei der er seine Schule gemacht haben und deren Beurtheilung er | ||||||
12 | unterworfen bleiben muß.- Weil aber die Regierung an der Art, wie er | ||||||
13 | die Gesundheit des Volks behandelt, nothwendig großes Interesse nimmt: | ||||||
14 | so ist sie berechtigt durch eine Versammlung ausgewählter Geschäftsleute | ||||||
15 | dieser Facultät (praktischer Ärzte) über das öffentliche Verfahren der Ärzte | ||||||
16 | durch ein Obersanitätscollegium und Medicinalverordnungen Aufsicht | ||||||
17 | zu haben. Die letzteren aber bestehen wegen der besonderen Beschaffenheit | ||||||
18 | dieser Facultät, daß sie nämlich ihre Verhaltungsregeln nicht , wie | ||||||
19 | die vorigen zwei obern, von Befehlen eines Oberen, sondern aus der Natur | ||||||
20 | der Dinge selbst hernehmen muß - weshalb ihre Lehren auch ursprünglich | ||||||
21 | der philosophischen Facultät, im weitesten Verstande genommen, angehören | ||||||
22 | müßten -, nicht sowohl in dem, was die Ärzte thun, als was sie | ||||||
23 | unterlassen sollen: nämlich erstlich, daß es fürs Publicum überhaupt | ||||||
24 | Ärzte, zweitens, daß es keine Afterärzte gebe (kein ius impune occidendi | ||||||
25 | nach dem Grundsatz: fiat experimentum in corpore vili ). Da nun die | ||||||
26 | Regierung nach dem ersten Princip für die öffentliche Bequemlichkeit, | ||||||
27 | nach dem zweiten für die öffentliche Sicherheit (in der Gesundheitsangelegenheit | ||||||
28 | des Volks) sorgt, diese zwei Stücke aber eine Polizei | ||||||
29 | ausmachen, so wird alle Medicinalordnung eigentlich nur die medicinische | ||||||
30 | Polizei betreffen. | ||||||
31 | Diese Facultät ist also viel freier als die beiden ersten unter den obern | ||||||
32 | und der philosophischen sehr nahe verwandt; ja was die Lehren derselben | ||||||
33 | betrifft, wodurch Ärzte gebildet werden, gänzlich frei, weil es für sie keine | ||||||
34 | durch höchste Autorität sanctionirte, sondern nur aus der Natur geschöpfte | ||||||
35 | Bücher geben kann, auch keine eigentlichen Gesetze (wenn man darunter | ||||||
[ Seite 025 ] [ Seite 027 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |