Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 027 |
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01 | den unveränderlichen Willen des Gesetzgebers versteht), sondern nur Verordnungen | ||||||
02 | (Edicte), welche zu kennen nicht Gelehrsamkeit ist, als zu der | ||||||
03 | ein systematischer Inbegriff von Lehren erfordert wird, den zwar die Facultät | ||||||
04 | besitzt, welchen aber (als in keinem Gesetzbuch enthalten) die Regierung | ||||||
05 | zu sanctioniren nicht Befugniß hat, sondern jener überlassen muß, | ||||||
06 | indessen sie durch Dispensatorien und Lazarethanstalten den Geschäftsleuten | ||||||
07 | derselben ihre Praxis im öffentlichen Gebrauch nur zu befördern bedacht | ||||||
08 | ist.- Diese Geschäftsmänner (die Ärzte) aber bleiben in Fällen, | ||||||
09 | welche als die medicinische Polizei betreffend die Regierung interessiren, | ||||||
10 | dem Urtheile ihrer Facultät unterworfen. | ||||||
11 | Zweiter Abschnitt. |
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12 | Begriff und Eintheilung der untern Facultät. |
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13 | Man kann die untere Facultät diejenige Klasse der Universität nennen, | ||||||
14 | die oder so fern sie sich nur mit Lehren beschäftigt, welche nicht auf den | ||||||
15 | Befehl eines Oberen zur Richtschnur angenommen werden. Nun kann es | ||||||
16 | zwar geschehen, daß man eine praktische Lehre aus Gehorsam befolgt; sie | ||||||
17 | aber darum, weil es befohlen ist ( de par le roi ), für wahr anzunehmen, | ||||||
18 | ist nicht allein objectiv (als ein Urtheil, das nicht sein sollte), sondern | ||||||
19 | auch subjectiv (als ein solches, welches kein Mensch fällen kann) schlechterdings | ||||||
20 | unmöglich. Denn der irren will, wie er sagt, irrt wirklich nicht und | ||||||
21 | nimmt das falsche Urtheil nicht in der That für wahr an, sondern giebt | ||||||
22 | nur ein Fürwahrhalten fälschlich vor, das in ihm doch nicht anzutreffen | ||||||
23 | ist.- Wenn also von der Wahrheit gewisser Lehren, die in öffentlichen | ||||||
24 | Vortrag gebracht werden sollen, die Rede ist, so kann sich der Lehrer desfalls | ||||||
25 | nicht auf höchsten Befehl berufen, noch der Lehrling vorgeben, sie auf | ||||||
26 | Befehl geglaubt zu haben, sondern nur wenn vom Thun geredet wird. | ||||||
27 | Alsdann aber muß er doch, daß ein solcher Befehl wirklich ergangen, imgleichen | ||||||
28 | daß er ihm zu gehorchen verpflichtet oder wenigstens befugt sei, | ||||||
29 | durch ein freies Urtheil erkennen, widrigenfalls seine Annahme ein leeres | ||||||
30 | Vorgeben und Lüge ist.- Nun nennt man das Vermögen, nach der Autonomie, | ||||||
31 | d.i. frei (Principien des Denkens überhaupt gemäß), zu urtheilen, | ||||||
32 | die Vernunft. Also wird die philosophische Facultät darum, weil sie für | ||||||
33 | die Wahrheit der Lehren, die sie aufnehmen oder auch nur einräumen | ||||||
34 | soll, stehen muß, in so fern als frei und nur unter der Gesetzgebung der | ||||||
35 | Vernunft, nicht der der Regierung stehend gedacht werden müssen. | ||||||
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