Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 009 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
Verknüpfungen:
|
|
||||
01 | welches im Moralisch=Praktischen (dem, was wir thun sollen) besteht, | ||||||
02 | wogegen das, was wir auf historische Beweisgründe zu glauben Ursache | ||||||
03 | haben (denn hiebei gilt kein Sollen), d. i. die Offenbarung als an sich | ||||||
04 | zufällige Glaubenslehre, für außerwesentlich, darum aber doch nicht für | ||||||
05 | unnöthig und überflüssig angesehen wird; weil sie den theoretischen | ||||||
06 | Mangel des reinen Vernunftglaubens, den dieser nicht abläugnet, z. B. | ||||||
07 | in den Fragen über den Ursprung des Bösen, den Übergang von diesem zum | ||||||
08 | Guten, die Gewißheit des Menschen im letzteren Zustande zu sein u. dgl. | ||||||
09 | zu ergänzen dienlich und als Befriedigung eines Vernunftbedürfnisses dazu | ||||||
10 | nach Verschiedenheit der Zeitumstände und der Personen mehr oder | ||||||
11 | weniger beizutragen behülflich ist. | ||||||
12 | Daß ich ferner meine große Hochachtung für die biblische Glaubenslehre | ||||||
13 | im Christenthum unter anderen auch durch die Erklärung in demselben | ||||||
14 | obbenannten Buche bewiesen habe, daß die Bibel, als das beste vorhandene, | ||||||
15 | zur Gründung und Erhaltung einer wahrhaftig seelenbessernden Landesreligion | ||||||
16 | auf unabsehliche Zeiten taugliche Leitmittel der öffentlichen Religionsunterweisung | ||||||
17 | darin von mir angepriesen und daher auch die Unbescheidenheit | ||||||
18 | gegen die theoretische, Geheimnißenthaltende Lehren derselben | ||||||
19 | in Schulen oder auf Kanzeln, oder in Volksschriften (denn in Facultäten | ||||||
20 | muß es erlaubt sein), Einwürfe und Zweifel dagegen zu erregen von mir | ||||||
21 | getadelt und für Unfug erklärt worden; welches aber noch nicht die größte | ||||||
22 | Achtungsbezeigung für das Christenthum ist. Denn die hier aufgeführte | ||||||
23 | Zusammenstimmung desselben mit dem reinsten moralischen Vernunftglauben | ||||||
24 | ist die beste und dauerhafteste Lobrede desselben: weil eben dadurch, | ||||||
25 | nicht durch historische Gelehrsamkeit das so oft entartete Christenthum | ||||||
26 | immer wieder hergestellt worden ist und ferner bei ähnlichen Schicksalen, | ||||||
27 | die auch künftig nicht ausbleiben werden, allein wiederum hergestellt werden | ||||||
28 | kann. | ||||||
29 | Daß ich endlich, so wie ich anderen Glaubensbekennern jederzeit und | ||||||
30 | vorzüglich gewissenhafte Aufrichtigkeit, nicht mehr davon vorzugeben und | ||||||
31 | anderen als Glaubensartikel aufzudringen, als sie selbst davon gewiß sind, | ||||||
32 | empfohlen, ich auch diesen Richter in mir selbst bei Abfassung meiner | ||||||
33 | Schriften jederzeit als mir zur Seite stehend vorgestellt habe, um mich von | ||||||
34 | jedem nicht allein seelenverderblichen Irrthum, sondern selbst jeder Ansto | ||||||
35 | erregenden Unbehutsamkeit im Ausdruck entfernt zu halten; weshalb ich | ||||||
36 | auch jetzt in meinem 71sten Lebensjahre, wo der Gedanke leicht aufsteigt, | ||||||
37 | es könne wohl sein, daß ich für alles dieses in Kurzem einem Weltrichter | ||||||
[ Seite 008 ] [ Seite 010 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |