Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 472

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 aber eben so wohl auch die Unmöglichkeit von uns nicht eingesehen      
  02 werden kann. Der Glaube (schlechthin so genannt) ist ein Vertrauen zu der      
  03 Erreichung einer Absicht, deren Beförderung Pflicht, die Möglichkeit der      
  04 Ausführung derselben aber für uns nicht einzusehen ist (folglich auch      
  05 nicht die der einzigen für uns denkbaren Bedingungen). Der Glaube also,      
  06 der sich auf besondere Gegenstände, die nicht Gegenstände des möglichen      
  07 Wissens oder Meinens sind, bezieht (in welchem letztern Falle er,      
  08 vornehmlich im historischen, Leichtgläubigkeit und nicht Glaube heißen      
  09 müßte), ist ganz moralisch. Er ist ein freies Fürwahrhalten nicht dessen,      
  10 wozu dogmatische Beweise für die theoretisch bestimmende Urtheilskraft      
  11 anzutreffen sind, noch wozu wir uns verbunden halten, sondern dessen, was      
  12 wir zum Behuf einer Absicht nach Gesetzen der Freiheit annehmen; aber      
  13 doch nicht wie etwa eine Meinung ohne hinreichenden Grund, sondern als      
  14 in der Vernunft (obwohl nur in Ansehung ihres praktischen Gebrauchs),      
  15 für die Absicht derselben hinreichend, gegründet: denn ohne ihn      
  16 hat die moralische Denkungsart bei dem Verstoß gegen die Aufforderung      
  17 der theoretischen Vernunft zum Beweise (der Möglichkeit des Objects      
  18 der Moralität) keine feste Beharrlichkeit, sondern schwankt zwischen praktischen      
  19 Geboten und theoretischen Zweifeln. Ungläubisch sein, heißt der      
  20 Maxime nachhängen, Zeugnissen überhaupt nicht zu glauben; ungläubig      
  21 aber ist der, welcher jenen Vernunftideen, weil es ihnen an theoretischer      
  22 Begründung ihrer Realität fehlt, darum alle Gültigkeit abspricht.      
  23 Er urtheilt also dogmatisch. Ein dogmatischer Unglaube kann aber mit      
  24 einer in der Denkungsart herrschenden sittlichen Maxime nicht zusammen      
  25 bestehen (denn einem Zwecke, der für nichts als Hirngespinst erkannt wird,      
  26 nachzugehen, kann die Vernunft nicht gebieten); wohl aber ein Zweifelglaube,      
  27 dem der Mangel der Überzeugung durch Gründe der speculativen      
  28 Vernunft nur Hinderniß ist, welchem eine kritische Einsicht in die      
  29 Schranken der letztern den Einfluß auf das Verhalten benehmen und      
           
     

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