Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 473

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ihm ein überwiegendes praktisches Fürwahrhalten zum Ersatz hinstellen      
  02 kann.      
           
  03 Wenn man an die Stelle gewisser verfehlten Versuche in der Philosophie      
  04 ein anderes Princip aufführen und ihm Einfluß verschaffen will,      
  05 so gereicht es zu großer Befriedigung, einzusehen, wie jene und warum      
  06 sie fehl schlagen mußten.      
  07 Gott, Freiheit und Seelenunsterblichkeit sind diejenigen Aufgaben,      
  08 zu deren Auflösung alle Zurüstungen der Metaphysik, als ihrem      
  09 letzten und alleinigen Zwecke, abzielen. Nun glaubte man, daß die Lehre      
  10 von der Freiheit nur als negative Bedingung für die praktische Philosophie      
  11 nöthig sei, die Lehre von Gott und der Seelenbeschaffenheit hingegen,      
  12 zur theoretischen gehörig, für sich und abgesondert dargethan werden      
  13 müsse, um beide nachher mit dem, was das moralische Gesetz (das      
  14 nur unter der Bedingung der Freiheit möglich ist) gebietet, zu verknüpfen      
  15 und so eine Religion zu Stande zu bringen. Man kann aber bald einsehen,      
  16 daß diese Versuche fehl schlagen mußten. Denn aus bloßen ontologischen      
  17 Begriffen von Dingen überhaupt, oder der Existenz eines nothwendigen      
  18 Wesens läßt sich schlechterdings kein durch Prädicate, die sich in      
  19 der Erfahrung geben lassen und also zum Erkenntnisse dienen könnten,      
  20 bestimmter Begriff von einem Urwesen machen; der aber, welcher auf Erfahrung      
  21 von der physischen Zweckmäßigkeit der Natur gegründet wurde,      
  22 konnte wiederum keinen für die Moral, mithin zur Erkenntniß eines Gottes      
  23 hinreichenden Beweis abgeben. Eben so wenig konnte auch die Seelenkenntniß      
  24 durch Erfahrung (die wir nur in diesem Leben anstellen) einen      
  25 Begriff von der geistigen, unsterblichen Natur derselben, mithin für die      
  26 Moral zureichend verschaffen. Theologie und Pneumatologie, als      
  27 Aufgaben zum Behuf der Wissenschaften einer speculativen Vernunft, weil      
  28 deren Begriff für alle unsere Erkenntnißvermögen überschwenglich ist,      
  29 können durch keine empirische Data und Prädicate zu Stande kommen.      
  30 Die Bestimmung beider Begriffe, Gottes sowohl als der Seele (in Ansehung      
  31 ihrer Unsterblichkeit), kann nur durch Prädicate geschehen, die, ob      
  32 sie gleich selbst nur aus einem übersinnlichen Grunde möglich sind, dennoch      
  33 in der Erfahrung ihre Realität beweisen müssen: denn so allein können      
  34 sie von ganz übersinnlichen Wesen ein Erkenntniß möglich machen.      
  35 Dergleichen ist nun der einzige in der menschlichen Vernunft anzutreffende      
           
     

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