Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 466

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Grund muß ergänzt werden können. Weil sie aber als Bestimmungsgründe      
  02 der Gewißheit eines und desselben Urtheils gleichartig sein müssen,      
  03 indem sie sonst nicht zusammen eine Größe (dergleichen die Gewißheit ist)      
  04 ausmachen würden: so kann nicht ein Theil derselben innerhalb den      
  05 Gränzen möglicher Erfahrung, ein anderer außerhalb aller möglichen Erfahrung      
  06 liegen. Mithin, da bloß=empirische Beweisgründe auf nichts      
  07 Übersinnliches führen, der Mangel in der Reihe derselben auch durch nichts      
  08 ergänzt werden kann: so findet in dem Versuche, durch sie zum Übersinnlichen      
  09 und einer Erkenntniß desselben zu gelangen, nicht die mindeste Annäherung,      
  10 folglich in einem Urtheile über das letztere durch von der Erfahrung      
  11 hergenommene Argumente auch keine Wahrscheinlichkeit Statt.      
           
  12 4) Was als Hypothese zu Erklärung der Möglichkeit einer gegebenen      
  13 Erscheinung dienen soll, davon muß wenigstens die Möglichkeit völlig      
  14 gewiß sein. Es ist genug, daß ich bei einer Hypothese auf die Erkenntniß      
  15 der Wirklichkeit (die in einer für wahrscheinlich ausgegebenen Meinung      
  16 noch behauptet wird) Verzicht thue: mehr kann ich nicht Preis geben; die      
  17 Möglichkeit dessen, was ich einer Erklärung zum Grunde lege, muß wenigstens      
  18 keinem Zweifel ausgesetzt sein, weil sonst der leeren Hirngespinste      
  19 kein Ende sein würde. Die Möglichkeit aber eines nach gewissen Begriffen      
  20 bestimmten übersinnlichen Wesens anzunehmen, da hiezu keine von den      
  21 erforderlichen Bedingungen einer Erkenntniß nach dem, was in ihr auf      
  22 Anschauung beruht, gegeben ist, und also der bloße Satz des Widerspruchs      
  23 (der nichts als die Möglichkeit des Denkens und nicht des gedachten Gegenstandes      
  24 selbst beweisen kann) als Kriterium dieser Möglichkeit übrig      
  25 bleibt, würde eine völlig grundlose Voraussetzung sein.      
           
  26 Das Resultat hievon ist: daß für das Dasein des Urwesens als einer      
  27 Gottheit, oder der Seele als eines unsterblichen Geistes schlechterdings kein      
  28 Beweis in theoretischer Absicht, um auch nur den mindesten Grad des      
  29 Fürwahrhaltens zu wirken, für die menschliche Vernunft möglich sei; und      
  30 dieses aus dem ganz begreiflichen Grunde: weil zur Bestimmung der      
  31 Ideen des Übersinnlichen für uns gar kein Stoff da ist, indem wir diesen      
  32 letzteren von Dingen in der Sinnenwelt hernehmen müßten, ein solcher      
  33 aber jenem Objecte schlechterdings nicht angemessen ist, also ohne alle Bestimmung      
  34 derselben nichts mehr, als der Begriff von einem nichtsinnlichen      
  35 Etwas übrig bleibt, welches den letzten Grund der Sinnenwelt enthalte,      
  36 der noch kein Erkenntniß (als Erweiterung des Begriffs) von seiner inneren      
  37 Beschaffenheit ausmacht.      
           
           
     

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