Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 461 |
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| 01 | kann, die rationale Psychologie niemals Pneumatologie als erweiternde | ||||||
| 02 | Wissenschaft werden könne, so wie sie andrerseits auch gesichert ist, | ||||||
| 03 | in keinen Materialism zu verfallen; sondern daß sie vielmehr bloß Anthropologie | ||||||
| 04 | des innern Sinnes, d. i. Kenntniß unseres denkenden Selbst | ||||||
| 05 | im Leben, sei und als theoretisches Erkenntniß auch bloß empirisch | ||||||
| 06 | bleibe; dagegen die rationale Psychologie, was die Frage über unsere | ||||||
| 07 | ewige Existenz betrifft, gar keine theoretische Wissenschaft ist, sondern auf | ||||||
| 08 | einem einzigen Schlusse der moralischen Teleologie beruht, wie denn auch | ||||||
| 09 | ihr ganzer Gebrauch bloß der letztern als unserer praktischen Bestimmung | ||||||
| 10 | wegen nothwendig ist. | ||||||
| 11 | § 90. |
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| 12 | Von der Art des Fürwahrhaltens in einem teleologischen |
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| 13 | Beweise des Daseins Gottes. |
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| 14 | Zuerst wird zu jedem Beweise, er mag (wie bei dem Beweise durch | ||||||
| 15 | Beobachtung des Gegenstandes oder Experiment) durch unmittelbare empirische | ||||||
| 16 | Darstellung dessen, was bewiesen werden soll, oder durch Vernunft | ||||||
| 17 | a priori aus Principien geführt werden, erfordert: daß er nicht überrede, | ||||||
| 18 | sondern überzeuge, oder wenigstens auf Überzeugung wirke; | ||||||
| 19 | d. i. daß der Beweisgrund, oder der Schluß nicht bloß ein subjectiver | ||||||
| 20 | (ästhetischer) Bestimmungsgrund des Beifalls (bloßer Schein), sondern | ||||||
| 21 | objectiv=gültig und ein logischer Grund der Erkenntniß sei: denn sonst | ||||||
| 22 | wird der Verstand berückt, aber nicht überführt. Von jener Art eines | ||||||
| 23 | Scheinbeweises ist derjenige, welcher vielleicht in guter Absicht, aber doch | ||||||
| 24 | mit vorsetzlicher Verhehlung seiner Schwäche in der natürlichen Theologie | ||||||
| 25 | geführt wird: wenn man die große Menge der Beweisthümer eines Ursprungs | ||||||
| 26 | der Naturdinge nach dem Princip der Zwecke herbeizieht und sich | ||||||
| 27 | den bloß subjectiven Grund der menschlichen Vernunft zu Nutze macht, | ||||||
| 28 | nämlich den ihr eigenen Hang, wo es nur ohne Widerspruch geschehen | ||||||
| 29 | kann, statt vieler Principien ein einziges und, wo in diesem Princip nur | ||||||
| 30 | einige oder auch viele Erfordernisse zur Bestimmung eines Begriffs angetroffen | ||||||
| 31 | werden, die übrigen hinzuzudenken, um den Begriff des Dinges | ||||||
| 32 | durch willkürliche Ergänzung zu vollenden. Denn freilich, wenn wir so | ||||||
| 33 | viele Producte in der Natur antreffen, die für uns Anzeigen einer verständigen | ||||||
| 34 | Ursache sind: warum sollen wir statt vieler solcher Ursachen nicht | ||||||
| 35 | lieber eine einzige und zwar an dieser nicht etwa bloß großen Verstand | ||||||
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