Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 456

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Die Wirklichkeit eines höchsten moralisch=gesetzgebenden Urhebers ist      
  02 also bloß für den praktischen Gebrauch unserer Vernunft hinreichend      
  03 dargethan, ohne in Ansehung des Daseins desselben etwas theoretisch zu      
  04 bestimmen. Denn diese bedarf zur Möglichkeit ihres Zwecks, der uns      
  05 auch ohnedas durch ihre eigene Gesetzgebung aufgegeben ist, einer Idee,      
  06 wodurch das Hinderniß aus dem Unvermögen ihrer Befolgung nach dem      
  07 bloßen Naturbegriffe von der Welt (für die reflectirende Urtheilskraft hinreichend)      
  08 weggeräumt wird; und diese Idee bekommt dadurch praktische      
  09 Realität, wenn ihr gleich alle Mittel, ihr eine solche in theoretischer Absicht      
  10 zur Erklärung der Natur und Bestimmung der obersten Ursache zu      
  11 verschaffen, für das speculative Erkenntniß gänzlich abgehen. Für die      
  12 theoretisch reflectirende Urtheilskraft bewies die physische Teleologie aus      
  13 den Zwecken der Natur hinreichend eine verständige Weltursache; für die      
  14 praktische bewirkt dieses die moralische durch den Begriff eines Endzwecks,      
  15 den sie in praktischer Absicht der Schöpfung beizulegen genöthigt ist. Die      
  16 objective Realität der Idee von Gott, als moralischen Welturhebers, kann      
  17 nun zwar nicht durch physische Zwecke allein dargethan werden; gleichwohl      
  18 aber, wenn ihr Erkenntniß mit dem des moralischen verbunden wird,      
  19 sind jene vermöge der Maxime der reinen Vernunft, Einheit der Principien,      
  20 so viel sich thun läßt, zu befolgen, von großer Bedeutung, um der      
  21 praktischen Realität jener Idee durch die, welche sie in theoretischer Absicht      
  22 für die Urtheilskraft bereits hat, zu Hülfe zu kommen.      
           
  23 Hiebei ist nun zu Verhütung eines leicht eintretenden Mißverständnisses      
  24 höchst nöthig anzumerken, daß wir erstlich diese Eigenschaften des      
  25 höchsten Wesens nur nach der Analogie denken können. Denn wie wollten      
  26 wir seine Natur, wovon uns die Erfahrung nichts ähnliches zeigen      
  27 kann, erforschen? Zweitens, daß wir es durch dieselbe auch nur denken,      
  28 nicht darnach erkennen und sie ihm etwa theoretisch beilegen können;      
  29 denn das wäre für die bestimmende Urtheilskraft in speculativer Absicht      
  30 unserer Vernunft, um, was die oberste Weltursache an sich sei, einzusehen.      
  31 Hier aber ist es nur darum zu thun, welchen Begriff wir uns nach der      
  32 Beschaffenheit unserer Erkenntnißvermögen von demselben zu machen und      
  33 ob wir seine Existenz anzunehmen haben, um einem Zwecke, den uns reine      
  34 praktische Vernunft ohne alle solche Voraussetzung a priori nach allen      
  35 Kräften zu bewirken auferlegt, gleichfalls nur praktische Realität zu verschaffen,      
  36 d. i. nur eine beabsichtete Wirkung als möglich denken zu können.      
  37 Immerhin mag jener Begriff für die speculative Vernunft überschwenglich      
           
     

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