Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 454

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 müsse. Nun finden wir aber in der Welt zwar Zwecke: und die      
  02 physische Teleologie stellt sie in solchem Maße dar, daß, wenn wir der      
  03 Vernunft gemäß urtheilen, wir zum Princip der Nachforschung der Natur      
  04 zuletzt anzunehmen Grund haben, daß in der Natur gar nichts ohne Zweck      
  05 sei; allein den Endzweck der Natur suchen wir in ihr selbst vergeblich.      
  06 Dieser kann und muß daher, so wie die Idee davon nur in der Vernunft      
  07 liegt, selbst seiner objectiven Möglichkeit nach nur in vernünftigen Wesen      
  08 gesucht werden. Die praktische Vernunft der letzteren aber giebt diesen      
  09 Endzweck nicht allein an, sondern bestimmt auch diesen Begriff in Ansehung      
  10 der Bedingungen, unter welchen ein Endzweck der Schöpfung allein von      
  11 uns gedacht werden kann.      
           
  12 Es ist nun die Frage: ob die objective Realität des Begriffs von      
  13 einem Endzweck der Schöpfung nicht auch für die theoretischen Forderungen      
  14 der reinen Vernunft hinreichend, wenn gleich nicht apodiktisch für die      
  15 bestimmende, doch hinreichend für die Maximen der theoretisch=reflectirenden      
  16 Urtheilskraft könne dargethan werden. Dieses ist das mindeste, was man      
  17 der speculativen Philosophie ansinnen kann, die den sittlichen Zweck mit      
  18 den Naturzwecken vermittelst der Idee eines einzigen Zwecks zu verbinden      
  19 sich anheischig macht; aber auch dieses Wenige ist doch weit mehr, als sie      
  20 je zu leisten vermag.      
           
  21 Nach dem Princip der theoretisch=reflectirenden Urtheilskraft würden      
  22 wir sagen: Wenn wir Grund haben, zu den zweckmäßigen Producten der      
  23 Natur eine oberste Ursache der Natur anzunehmen, deren Causalität in      
  24 Ansehung der Wirklichkeit der letzteren (die Schöpfung) von anderer Art,      
  25 als zum Mechanism der Natur erforderlich ist, nämlich als die eines Verstandes,      
  26 gedacht werden muß: so werden wir auch an diesem Urwesen nicht      
  27 bloß allenthalben in der Natur Zwecke, sondern auch einen Endzweck zu      
  28 denken hinreichenden Grund haben, wenn gleich nicht um das Dasein      
  29 eines solchen Wesens darzuthun, doch wenigstens (so wie es in der physischen      
  30 Teleologie geschah) uns zu überzeugen, daß wir die Möglichkeit      
  31 einer solchen Welt nicht bloß nach Zwecken, sondern auch nur dadurch,      
  32 daß wir ihrer Existenz einen Endzweck unterlegen, uns begreiflich machen      
  33 können.      
           
  34 Allein Endzweck ist bloß ein Begriff unserer praktischen Vernunft      
  35 und kann aus keinen Datis der Erfahrung zu theoretischer Beurtheilung      
  36 der Natur gefolgert, noch auf Erkenntniß derselben bezogen werden. Es      
  37 ist kein Gebrauch von diesem Begriffe möglich, als lediglich für die praktische      
           
     

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