Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 452 |
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| 01 | pflichtverehrende Gesinnung, der Wirkung nach so pünktlich, wie es immer | ||||||
| 02 | verlangt werden mag, erfüllte. Umgekehrt, wenn er sie als Gläubiger | ||||||
| 03 | seinem Bewußtsein nach aufrichtig und uneigennützig befolgt und gleichwohl, | ||||||
| 04 | so oft er zum Versuche den Fall setzt, er könnte einmal überzeugt | ||||||
| 05 | werden, es sei kein Gott, sich sogleich von aller sittlichen Verbindlichkeit frei | ||||||
| 06 | glaubte: müßte es doch mit der innern moralischen Gesinnung in ihm | ||||||
| 07 | nur schlecht bestellt sein. | ||||||
| 08 | Wir können also einen rechtschaffenen Mann (wie etwa den Spinoza) | ||||||
| 09 | annehmen, der sich fest überredet hält: es sei kein Gott und (weil es in | ||||||
| 10 | Ansehung des Objects der Moralität auf einerlei Folge hinausläuft) auch | ||||||
| 11 | kein künftiges Leben; wie wird er seine eigene innere Zweckbestimmung | ||||||
| 12 | durch das moralische Gesetz, welches er thätig verehrt, beurtheilen? er | ||||||
| 13 | verlangt von Befolgung desselben für sich keinen Vortheil, weder in dieser | ||||||
| 14 | noch in einer andern Welt; uneigennützig will er vielmehr nur das Gute | ||||||
| 15 | stiften, wozu jenes heilige Gesetz allen seinen Kräften die Richtung giebt. | ||||||
| 16 | Aber sein Bestreben ist begränzt; und von der Natur kann er zwar hin | ||||||
| 17 | und wieder einen zufälligen Beitritt, niemals aber eine gesetzmäßige und | ||||||
| 18 | nach beständigen Regeln (so wie innerlich seine Maximen sind und sein | ||||||
| 19 | müssen) eintreffende Zusammenstimmung zu dem Zwecke erwarten, welchen | ||||||
| 20 | zu bewirken er sich doch verbunden und angetrieben fühlt. Betrug, Gewaltthätigkeit | ||||||
| 21 | und Neid werden immer um ihn im Schwange gehen, ob | ||||||
| 22 | er gleich selbst redlich, friedfertig und wohlwollend ist; und die Rechtschaffenen, | ||||||
| 23 | die er außer sich noch antrifft, werden unangesehen aller ihrer Würdigkeit | ||||||
| 24 | glücklich zu sein dennoch durch die Natur, die darauf nicht achtet, | ||||||
| 25 | allen Übeln des Mangels, der Krankheiten und des unzeitigen Todes gleich | ||||||
| 26 | den übrigen Thieren der Erde unterworfen sein und es auch immer bleiben, | ||||||
| 27 | bis ein weites Grab sie insgesammt (redlich oder unredlich, das gilt | ||||||
| 28 | hier gleichviel) verschlingt und sie, die da glauben konnten, Endzweck der | ||||||
| 29 | Schöpfung zu sein, in den Schlund des zwecklosen Chaos der Materie | ||||||
| 30 | zurück wirft, aus dem sie gezogen waren. - Den Zweck also, den dieser | ||||||
| 31 | Wohlgesinnte in Befolgung der moralischen Gesetze vor Augen hatte und | ||||||
| 32 | haben sollte, müßte er allerdings als unmöglich aufgeben; oder will er auch | ||||||
| 33 | hierin dem Rufe seiner sittlichen inneren Bestimmung anhänglich bleiben | ||||||
| 34 | und die Achtung, welche das sittliche Gesetz ihm unmittelbar zum Gehorchen | ||||||
| 35 | einflößt, nicht durch die Nichtigkeit des einzigen ihrer hohen Forderung | ||||||
| 36 | angemessenen idealischen Endzwecks schwächen (welches ohne einen | ||||||
| 37 | der moralischen Gesinnung widerfahrenden Abbruch nicht geschehen kann): | ||||||
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