Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 451

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 anzunehmen, als die Gültigkeit des moralischen Gesetzes anzuerkennen;      
  02 mithin, wer sich vom erstern nicht überzeugen kann, könne sich von den      
  03 Verbindlichkeiten nach dem letztern los zu sein urtheilen. Nein! Nur die      
  04 Beabsichtigung des durch die Befolgung des letztern zu bewirkenden      
  05 Endzwecks in der Welt (einer mit der Befolgung moralischer Gesetze      
  06 harmonisch zusammentreffenden Glückseligkeit vernünftiger Wesen, als      
  07 des höchsten Weltbesten) müßte alsdann aufgegeben werden. Ein jeder      
  08 Vernünftige würde sich an der Vorschrift der Sitten immer noch als      
  09 Strenge gebunden erkennen müssen; denn die Gesetze derselben sind formal      
  10 und gebieten unbedingt, ohne Rücksicht auf Zwecke (als die Materie des      
  11 Wollens). Aber das eine Erforderniß des Endzwecks, wie ihn die praktische      
  12 Vernunft den Weltwesen vorschreibt, ist ein in sie durch ihre Natur (als      
  13 endlicher Wesen) gelegter unwiderstehlicher Zweck, den die Vernunft nur      
  14 dem moralischen Gesetze als unverletzlicher Bedingung unterworfen,      
  15 oder auch nach demselben allgemein gemacht wissen will und so die Beförderung      
  16 der Glückseligkeit in Einstimmung mit der Sittlichkeit zum      
  17 Endzwecke macht. Diesen nun, so viel (was die ersteren betrifft) in unserem      
  18 Vermögen ist, zu befördern, wird uns durch das moralische Gesetz geboten;      
  19 der Ausschlag, den diese Bemühung hat, mag sein, welcher er wolle.      
  20 Die Erfüllung der Pflicht besteht in der Form des ernstlichen Willens,      
  21 nicht in den Mittelursachen des Gelingens.      
           
  22 Gesetzt also: ein Mensch überredete sich, theils durch die Schwäche      
  23 aller so sehr gepriesenen speculativen Argumente, theils durch manche in      
  24 der Natur und Sittenwelt ihm vorkommende Unregelmäßigkeiten bewogen,      
  25 von dem Satze: es sei kein Gott; so würde er doch in seinen eigenen Augen      
  26 ein Nichtswürdiger sein, wenn er darum die Gesetze der Pflicht für bloß      
  27 eingebildet, ungültig, unverbindlich halten und ungescheut zu übertreten      
  28 beschließen wollte. Ein solcher würde auch alsdann noch, wenn er sich in      
  29 der Folge von dem, was er anfangs bezweifelt hatte, überzeugen könnte,      
  30 mit jener Denkungsart doch immer ein Nichtswürdiger bleiben: ob er      
  31 gleich seine Pflicht, aber aus Furcht, oder aus lohnsüchtiger Absicht, ohne      
           
     

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