Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 450

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 vom Dasein einer Welt gedacht werden. Ist dagegen dieses nicht      
  02 so bewandt, so liegt dem Dasein derselben entweder gar kein Zweck in der      
  03 Ursache, oder es liegen ihm Zwecke ohne Endzweck zum Grunde.      
           
  04 Das moralische Gesetz als formale Vernunftbedingung des Gebrauchs      
  05 unserer Freiheit verbindet uns für sich allein, ohne von irgend einem      
  06 Zwecke als materialer Bedingung abzuhängen; aber es bestimmt uns      
  07 doch auch und zwar a priori einen Endzweck, welchem nachzustreben es      
  08 uns verbindlich macht: und dieser ist das höchste durch Freiheit mögliche      
  09 Gut in der Welt.      
           
  10 Die subjective Bedingung, unter welcher der Mensch (und nach allen      
  11 unsern Begriffen auch jedes vernünftige endliche Wesen) sich unter dem      
  12 obigen Gesetze einen Endzweck setzen kann, ist die Glückseligkeit. Folglich,      
  13 das höchste in der Welt mögliche und, so viel an uns ist, als Endzweck      
  14 zu befördernde physische Gut ist Glückseligkeit: unter der objectiven      
  15 Bedingung der Einstimmung des Menschen mit dem Gesetze der Sittlichkeit,      
  16 als der Würdigkeit glücklich zu sein.      
           
  17 Diese zwei Erfordernisse des uns durch das moralische Gesetz aufgegebenen      
  18 Endzwecks können wir aber nach allen unsern Vernunftvermögen      
  19 als durch bloße Naturursachen verknüpft und der Idee des gedachten      
  20 Endzwecks angemessen unmöglich uns vorstellen. Also stimmt der Begriff      
  21 von der praktischen Nothwendigkeit eines solchen Zwecks durch die      
  22 Anwendung unserer Kräfte nicht mit dem theoretischen Begriffe von der      
  23 physischen Möglichkeit der Bewirkung desselben zusammen, wenn wir      
  24 mit unserer Freiheit keine andere Causalität (eines Mittels), als die der      
  25 Natur verknüpfen.      
           
  26 Folglich müssen wir eine moralische Weltursache (einen Welturheber)      
  27 annehmen, um uns gemäß dem moralischen Gesetze einen Endzweck vorzusetzen;      
  28 und so weit als das letztere nothwendig ist, so weit (d. i. in demselben      
  29 Grade und aus demselben Grunde) ist auch das erstere nothwendig      
  30 anzunehmen: nämlich es sei ein Gott.*)      
           
  31 Dieser Beweis, dem man leicht die Form der logischen Präcision anpassen      
  32 kann, will nicht sagen: es ist eben so nothwendig das Dasein Gottes      
           
    *)Dieses moralische Argument soll keinen objectiv=gültigen Beweis vom Dasein Gottes an die Hand geben, nicht dem Zweifelgläubigen beweisen, daß ein [Seitenumbruch] Gott sei; sondern daß, wenn er moralisch consequent denken will, er die Annehmung dieses Satzes unter die Maximen seiner praktischen Vernunft aufnehmen müsse. -Es soll damit auch nicht gesagt werden: es ist zur Sittlichkeit nothwendig, die Glückseligkeit aller vernünftigen Weltwesen gemäß ihrer Moralität anzunehmen; sondern: es ist durch sie nothwendig. Mithin ist es ein subjectiv, für moralische Wesen, hinreichendes Argument.      
           
     

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