Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 443 |
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01 | Er muß also schon als Endzweck der Schöpfung vorausgesetzt werden, um | ||||||
02 | einen Vernunftgrund zu haben, warum die Natur zu seiner Glückseligkeit | ||||||
03 | zusammen stimmen müsse, wenn sie als ein absolutes Ganze nach Principien | ||||||
04 | der Zwecke betrachtet wird. - Also ist es nur das Begehrungsvermögen: | ||||||
05 | aber nicht dasjenige, was ihn von der Natur (durch sinnliche Antriebe) | ||||||
06 | abhängig macht, nicht das, in Ansehung dessen der Werth seines | ||||||
07 | Daseins auf dem, was er empfängt und genießt, beruht: sondern der | ||||||
08 | Werth, welchen er allein sich selbst geben kann, und welcher in dem besteht, | ||||||
09 | was er thut, wie und nach welchen Principien er nicht als Naturglied, | ||||||
10 | sondern in der Freiheit seines Begehrungsvermögens handelt; d. h. ein | ||||||
11 | guter Wille ist dasjenige, wodurch sein Dasein allein einen absoluten | ||||||
12 | Werth und in Beziehung auf welches das Dasein der Welt einen Endzweck | ||||||
13 | haben kann. | ||||||
14 | Auch stimmt damit das gemeinste Urtheil der gesunden Menschenvernunft | ||||||
15 | vollkommen zusammen: nämlich daß der Mensch nur als moralisches | ||||||
16 | Wesen ein Endzweck der Schöpfung sein könne, wenn man die Beurtheilung | ||||||
17 | nur auf diese Frage leitet und veranlaßt sie zu versuchen. Was | ||||||
18 | hilfts, wird man sagen, daß dieser Mensch so viel Talent hat, daß er damit | ||||||
19 | sogar sehr thätig ist und dadurch einen nützlichen Einfluß auf das | ||||||
20 | gemeine Wesen ausübt und also in Verhältniß sowohl auf seine Glücksumstände, | ||||||
21 | als auch auf Anderer Nutzen einen großen Werth hat, wenn er | ||||||
22 | keinen guten Willen besitzt? Er ist ein verachtungswürdiges Object, wenn | ||||||
23 | man ihn nach seinem Innern betrachtet; und wenn die Schöpfung nicht | ||||||
24 | überall ohne Endzweck sein soll, so muß er, der als Mensch auch dazu gehört, | ||||||
25 | doch als böser Mensch in einer Welt unter moralischen Gesetzen diesen | ||||||
26 | gemäß seines subjectiven Zwecks (der Glückseligkeit) verlustig gehen, | ||||||
27 | als der einzigen Bedingung, unter der seine Existenz mit dem Endzwecke | ||||||
28 | zusammen bestehen kann. | ||||||
29 | Wenn wir nun in der Welt Zweckanordnungen antreffen und, wie | ||||||
30 | es die Vernunft unvermeidlich fordert, die Zwecke, die es nur bedingt sind, | ||||||
31 | einem unbedingten obersten, d. i. einem Endzwecke, unterordnen: so sieht | ||||||
32 | man erstlich leicht, daß alsdann nicht von einem Zwecke der Natur (innerhalb | ||||||
33 | derselben), sofern sie existirt, sondern dem Zwecke ihrer Existenz mit | ||||||
34 | allen ihren Einrichtungen, mithin von dem letzten Zwecke der Schöpfung | ||||||
35 | die Rede ist und in diesem auch eigentlich von der obersten Bedingung, | ||||||
36 | unter der allein ein Endzweck (d. i. der Bestimmungsgrund eines | ||||||
37 | höchsten Verstandes zu Hervorbringung der Weltwesen) Statt finden kann. | ||||||
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