Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 442

     
           
 

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  01 (nach der Analogie mit dem, was wir bei den Thieren den Kunstinstinct      
  02 nennen) Urgrund derselben sei: ohne daß es nöthig sei, ihr darum auch      
  03 nur Weisheit, viel weniger höchste und mit allen andern zur Vollkommenheit      
  04 ihres Products erforderlichen Eigenschaften verbundene Weisheit beizulegen.      
           
  06 Also ist Physikotheologie eine mißverstandene physische Teleologie,      
  07 nur als Vorbereitung (Propädeutik) zur Theologie brauchbar und nur      
  08 durch Hinzukunft eines anderweitigen Princips, auf das sie sich stützen      
  09 kann, nicht aber an sich selbst, wie ihr Name es anzeigen will, zu dieser      
  10 Absicht zureichend.      
           
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§ 86.

     
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Von der Ethikotheologie.

     
           
  13 Es ist ein Urtheil, dessen sich selbst der gemeinste Verstand nicht entschlagen      
  14 kann, wenn er über das Dasein der Dinge in der Welt und die      
  15 Existenz der Welt selbst nachdenkt: daß nämlich alle die mannigfaltigen      
  16 Geschöpfe, von wie großer Kunsteinrichtung und wie mannigfaltigem      
  17 zweckmäßig auf einander bezogenen Zusammenhange sie auch sein mögen,      
  18 ja selbst das Ganze so vieler Systeme derselben, die wir unrichtiger Weise      
  19 Welten nennen, zu nichts da sein würden, wenn es in ihnen nicht Menschen      
  20 (vernünftige Wesen überhaupt) gäbe; d. i. daß ohne den Menschen      
  21 die ganze Schöpfung eine bloße Wüste, umsonst und ohne Endzweck sein      
  22 würde. Es ist aber auch nicht das Erkenntnißvermögen desselben (theoretische      
  23 Vernunft), in Beziehung auf welches das Dasein alles Übrigen in      
  24 der Welt allererst seinen Werth bekommt, etwa damit irgend Jemand da      
  25 sei, welcher die Welt betrachten könne. Denn wenn diese Betrachtung      
  26 der Welt ihm doch nichts als Dinge ohne Endzweck vorstellig machte, so      
  27 kann daraus, daß sie erkannt wird, dem Dasein derselben kein Werth erwachsen;      
  28 und man muß schon einen Endzweck derselben voraussetzen, in      
  29 Beziehung auf welchen die Weltbetrachtung selbst einen Werth habe. Auch      
  30 ist es nicht das Gefühl der Lust und der Summe derselben, in Beziehung      
  31 auf welches wir einen Endzweck der Schöpfung als gegeben denken, d. i.      
  32 nicht das Wohlsein, der Genuß (er sei körperlich oder geistig), mit einem      
  33 Worte die Glückseligkeit, wornach wir jenen absoluten Werth schätzen.      
  34 Denn: daß, wenn der Mensch da ist, er diese ihm selbst zur Endabsicht      
  35 macht, giebt keinen Begriff, wozu er dann überhaupt da sei, und welchen      
  36 Werth er dann selbst habe, um ihm seine Existenz angenehm zu machen.      
           
     

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