Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 441 |
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| 01 | Begriff zu machen, der unserer über sie teleologisch reflectirenden Urtheilskraft | ||||||
| 02 | zum Richtmaße dienen könnte. Ich hätte alsdann zwar einen | ||||||
| 03 | Kunstverstand für zerstreute Zwecke; aber keine Weisheit für einen | ||||||
| 04 | Endzweck, der doch eigentlich den Bestimmungsgrund von jenem enthalten | ||||||
| 05 | muß. In Ermangelung aber eines Endzwecks, den nur die reine Vernunft | ||||||
| 06 | a priori an die Hand geben kann (weil alle Zwecke in der Welt empirisch | ||||||
| 07 | bedingt sind und nichts, als was hiezu oder dazu als zufälliger Absicht, | ||||||
| 08 | nicht was schlechthin gut ist, enthalten können), und der mich allein | ||||||
| 09 | lehren würde: welche Eigenschaften, welchen Grad und welches Verhältniß | ||||||
| 10 | der obersten Ursache der Natur ich mir zu denken habe, um diese als teleologisches | ||||||
| 11 | System zu beurtheilen; wie und mit welchem Rechte darf ich da | ||||||
| 12 | meinen sehr eingeschränkten Begriff von jenem ursprünglichen Verstande, | ||||||
| 13 | den ich auf meine geringe Weltkenntniß gründen kann, von der Macht | ||||||
| 14 | dieses Urwesens seine Ideen zur Wirklichkeit zu bringen, von seinem Willen | ||||||
| 15 | es zu thun u. s. w., nach Belieben erweitern und bis zur Idee eines allweisen | ||||||
| 16 | unendlichen Wesens ergänzen? Dies würde, wenn es theoretisch geschehen | ||||||
| 17 | sollte, in mir selbst Allwissenheit voraussetzen, um die Zwecke der | ||||||
| 18 | Natur in ihrem ganzen Zusammenhange einzusehen und noch obenein alle | ||||||
| 19 | andere mögliche Plane denken zu können, mit denen in Vergleichung der | ||||||
| 20 | gegenwärtige als der beste mit Grunde beurtheilt werden müßte. Denn | ||||||
| 21 | ohne diese vollendete Kenntniß der Wirkung kann ich auf keinen bestimmten | ||||||
| 22 | Begriff von der obersten Ursache, der nur in dem von einer in allem | ||||||
| 23 | Betracht unendlichen Intelligenz, d. i. dem Begriffe einer Gottheit, angetroffen | ||||||
| 24 | werden kann, schließen und eine Grundlage zur Theologie zu | ||||||
| 25 | Stande bringen. | ||||||
| 26 | Wir können also bei aller möglichen Erweiterung der physischen Teleologie | ||||||
| 27 | nach dem oben angeführten Grundsatze wohl sagen: daß wir nach | ||||||
| 28 | der Beschaffenheit und den Principien unseres Erkenntnißvermögens die | ||||||
| 29 | Natur in ihren uns bekannt gewordenen zweckmäßigen Anordnungen nicht | ||||||
| 30 | anders denn als das Product eines Verstandes, dem diese unterworfen ist, | ||||||
| 31 | denken können. Ob aber dieser Verstand mit dem Ganzen derselben und | ||||||
| 32 | dessen Hervorbringung noch eine Endabsicht gehabt haben möge (die alsdann | ||||||
| 33 | nicht in der Natur der Sinnenwelt liegen würde): das kann uns die | ||||||
| 34 | theoretische Naturforschung nie eröffnen; sondern es bleibt bei aller Kenntniß | ||||||
| 35 | derselben unausgemacht, ob jene oberste Ursache überall nach einem | ||||||
| 36 | Endzwecke und nicht vielmehr durch einen von der bloßen Nothwendigkeit | ||||||
| 37 | seiner Natur zu Hervorbringung gewisser Formen bestimmten Verstand | ||||||
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