Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 432 |
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| 01 | doch nicht hinreichend den Willen in der Bestimmung und Wahl seiner | ||||||
| 02 | Zwecke zu befördern, welche doch zum ganzen Umfange eine Tauglichkeit | ||||||
| 03 | zu Zwecken wesentlich gehört. Die letztere Bedingung der Tauglichkeit, | ||||||
| 04 | welche man die Cultur der Zucht (Disciplin) nennen könnte, ist negativ | ||||||
| 05 | und besteht in der Befreiung des Willens von dem Despotism der Begierden, | ||||||
| 06 | wodurch wir, an gewisse Naturdinge geheftet, unfähig gemacht | ||||||
| 07 | werden, selbst zu wählen, indem wir uns die Triebe zu Fesseln dienen | ||||||
| 08 | lassen, die uns die Natur nur statt Leitfäden beigegeben hat, um die | ||||||
| 09 | Bestimmung der Thierheit in uns nicht zu vernachlässigen, oder gar zu | ||||||
| 10 | verletzen, indeß wir doch frei genug sind, sie anzuziehen oder nachzulassen, | ||||||
| 11 | zu verlängern oder zu verkürzen, nachdem es die Zwecke der Vernunft | ||||||
| 12 | erfordern. | ||||||
| 13 | Die Geschicklichkeit kann in der Menschengattung nicht wohl entwickelt | ||||||
| 14 | werden, als vermittelst der Ungleichheit unter Menschen: da die | ||||||
| 15 | größte Zahl die Nothwendigkeit des Lebens gleichsam mechanisch, ohne | ||||||
| 16 | dazu besonders Kunst zu bedürfen, zur Gemächlichkeit und musse anderer | ||||||
| 17 | besorgt, welche die minder nothwendigen Stücke der Cultur, Wissenschaft | ||||||
| 18 | und Kunst, bearbeiten, und von diesen in einem Stande des Drucks, | ||||||
| 19 | saurer Arbeit und wenig Genusses gehalten wird, auf welche Classe sich | ||||||
| 20 | denn doch manches von der Cultur der höhern nach und nach auch verbreitet. | ||||||
| 21 | Die Plagen aber wachsen im Fortschritte derselben (dessen Höhe, | ||||||
| 22 | wenn der Hang zum Entbehrlichen schon dem Unentbehrlichen Abbruch zu | ||||||
| 23 | thun anfängt, Luxus heißt) auf beiden Seiten gleich mächtig, auf der | ||||||
| 24 | einen durch fremde Gewaltthätigkeit, auf der andern durch innere Ungenügsamkeit; | ||||||
| 25 | aber das glänzende Elend ist doch mit der Entwickelung der | ||||||
| 26 | Naturanlagen in der Menschengattung verbunden, und der Zweck der | ||||||
| 27 | Natur selbst, wenn es gleich nicht unser Zweck ist, wird doch hiebei erreicht. | ||||||
| 28 | Die formale Bedingung, unter welcher die Natur diese ihre Endabsicht | ||||||
| 29 | allein erreichen kann, ist diejenige Verfassung im Verhältnisse der Menschen | ||||||
| 30 | untereinander, wo dem Abbruche der einander wechselseitig widerstreitenden | ||||||
| 31 | Freiheit gesetzmäßige Gewalt in einem Ganzen, welches bürgerliche | ||||||
| 32 | Gesellschaft heißt, entgegengesetzt wird; denn nur in ihr kann die größte | ||||||
| 33 | Entwickelung der Naturanlagen geschehen. Zu derselben wäre aber doch, | ||||||
| 34 | wenn gleich Menschen sie auszufinden klug und sich ihrem Zwange willig | ||||||
| 35 | zu unterwerfen weise genug wären, noch ein weltbürgerliches Ganze, | ||||||
| 36 | d. i. ein System aller Staaten, die auf einander nachtheilig zu wirken in | ||||||
| 37 | Gefahr sind, erforderlich. In dessen Ermangelung und bei dem Hinderniß, | ||||||
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