Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 433 |
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01 | welches Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht vornehmlich bei denen, | ||||||
02 | die Gewalt in Händen haben, selbst der Möglichkeit eines solchen Entwurfs | ||||||
03 | entgegen setzen, ist der Krieg (theils in welchem sich Staaten zerspalten | ||||||
04 | und in kleinere auflösen, theils ein Staat andere, kleinere mit sich | ||||||
05 | vereinigt und ein größeres Ganze zu bilden strebt) unvermeidlich: der, | ||||||
06 | so wie er ein unabsichtlicher (durch zügellose Leidenschaften angeregter) | ||||||
07 | Versuch der Menschen, doch tief verborgener, vielleicht absichtlicher der | ||||||
08 | obersten Weisheit ist, Gesetzmäßigkeit mit der Freiheit der Staaten und | ||||||
09 | dadurch Einheit eines moralisch begründeten Systems derselben, wo nicht | ||||||
10 | zu stiften, dennoch vorzubereiten und ungeachtet der schrecklichsten Drangsale, | ||||||
11 | womit er das menschliche Geschlecht belegt, und der vielleicht noch | ||||||
12 | größern, womit die beständige Bereitschaft dazu im Frieden drückt, dennoch | ||||||
13 | eine Triebfeder mehr ist (indessen die Hoffnung zu dem Ruhestande | ||||||
14 | einer Volksglückseligkeit sich immer weiter entfernt) alle Talente, die zur | ||||||
15 | Cultur dienen, bis zum höchsten Grade zu entwickeln. | ||||||
16 | Was die Disciplin der Neigungen betrifft, zu denen die Naturanlage | ||||||
17 | in Absicht auf unsere Bestimmung als einer Thiergattung ganz zweckmäßig | ||||||
18 | ist, die aber die Entwickelung der Menschheit sehr erschweren: so | ||||||
19 | zeigt sich doch auch in Ansehung dieses zweiten Erfordernisses zur Cultur | ||||||
20 | ein zweckmäßiges Streben der Natur zu einer Ausbildung, welche uns | ||||||
21 | höherer Zwecke, als die Natur selbst liefern kann, empfänglich macht. Das | ||||||
22 | Übergewicht der Übel, welche die Verfeinerung des Geschmacks bis zur | ||||||
23 | Idealisirung desselben und selbst der Luxus in Wissenschaften, als einer | ||||||
24 | Nahrung für die Eitelkeit, durch die unzubefriedigende Menge der dadurch | ||||||
25 | erzeugten Neigungen über uns ausschüttet, ist nicht zu bestreiten: dagegen | ||||||
26 | aber der Zweck der Natur auch nicht zu verkennen, der Rohigkeit und dem | ||||||
27 | Ungestüm derjenigen Neigungen, welche mehr der Thierheit in uns angehören | ||||||
28 | und der Ausbildung zu unserer höheren Bestimmung am meisten | ||||||
29 | entgegen sind (der Neigungen des Genusses), immer mehr abzugewinnen | ||||||
30 | und der Entwickelung der Menschheit Platz zu machen. Schöne Kunst | ||||||
31 | und Wissenschaften, die durch eine Lust, die sich allgemein mittheilen läßt, | ||||||
32 | und durch Geschliffenheit und Verfeinerung für die Gesellschaft, wenn | ||||||
33 | gleich den Menschen nicht sittlich besser, doch gesittet machen, gewinnen der | ||||||
34 | Tyrannei des Sinnenhanges sehr viel ab und bereiten dadurch den | ||||||
35 | Menschen zu einer Herrschaft vor, in welcher die Vernunft allein Gewalt | ||||||
36 | haben soll: indeß die Übel, womit uns theils die Natur, theils die unvertragsame | ||||||
37 | Selbstsucht der Menschen heimsucht, zugleich die Kräfte der Seele | ||||||
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