Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 430 |
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| 01 | von der Art sein, daß er selbst durch die Natur in ihrer Wohlthätigkeit | ||||||
| 02 | befriedigt werden kann; oder es ist die Tauglichkeit und Geschicklichkeit zu | ||||||
| 03 | allerlei Zwecken, wozu die Natur (äußerlich und innerlich) von ihm gebraucht | ||||||
| 04 | werden könne. Der erste Zweck der Natur würde die Glückseligkeit, | ||||||
| 05 | der zweite die Cultur des Menschen sein. | ||||||
| 06 | Der Begriff der Glückseligkeit ist nicht ein solcher, den der Mensch | ||||||
| 07 | etwa von seinen Instincten abstrahirt und so aus der Thierheit in ihm | ||||||
| 08 | selbst hernimmt; sondern ist eine bloße Idee eines Zustandes, welcher er | ||||||
| 09 | den letzteren unter bloß empirischen Bedingungen (welches unmöglich ist) | ||||||
| 10 | adäquat machen will. Er entwirft sie sich selbst und zwar auf so verschiedene | ||||||
| 11 | Art durch seinen mit der Einbildungskraft und den Sinnen verwickelten | ||||||
| 12 | Verstand; er ändert sogar diesen so oft, daß die Natur, wenn sie | ||||||
| 13 | auch seiner Willkür gänzlich unterworfen wäre, doch schlechterdings kein | ||||||
| 14 | bestimmtes allgemeines und festes Gesetz annehmen könnte, um mit diesem | ||||||
| 15 | schwankenden Begriff und so mit dem Zweck, den jeder sich willkürlicher | ||||||
| 16 | Weise vorsetzt, übereinzustimmen. Aber selbst wenn wir entweder diesen | ||||||
| 17 | auf das wahrhafte Naturbedürfniß, worin unsere Gattung durchgängig | ||||||
| 18 | mit sich übereinstimmt, herabsetzen, oder andererseits die Geschicklichkeit | ||||||
| 19 | sich eingebildete Zwecke zu verschaffen noch so hoch steigern wollten: so | ||||||
| 20 | würde doch, was der Mensch unter Glückseligkeit versteht, und was in der | ||||||
| 21 | That sein eigener letzter Naturzweck (nicht Zweck der Freiheit) ist, von | ||||||
| 22 | ihm nie erreicht werden; denn seine Natur ist nicht von der Art, irgendwo | ||||||
| 23 | im Besitze und Genusse aufzuhören und befriedigt zu werden. Andrerseits | ||||||
| 24 | ist so weit gefehlt, daß die Natur ihn zu ihrem besondern Liebling aufgenommen | ||||||
| 25 | und vor allen Thieren mit Wohlthun begünstigt habe, daß sie | ||||||
| 26 | ihn vielmehr in ihren verderblichen Wirkungen, in Pest, Hunger, Wassergefahr, | ||||||
| 27 | Frost, Anfall von andern großen und kleinen Thieren u. d. gl., | ||||||
| 28 | eben so wenig verschont, wie jedes andere Thier; noch mehr aber, daß das | ||||||
| 29 | Widersinnische der Naturanlagen in ihm ihn noch in selbstersonnene | ||||||
| 30 | Plagen und noch andere von seiner eigenen Gattung durch den Druck der | ||||||
| 31 | Herrschaft, die Barbarei der Kriege u. s. w. in solche Noth versetzt und er | ||||||
| 32 | selbst, so viel an ihm ist, an der Zerstörung seiner eigenen Gattung | ||||||
| 33 | arbeitet, daß selbst bei der wohlthätigsten Natur außer uns der Zweck | ||||||
| 34 | derselben, wenn er auf die Glückseligkeit unserer Species gestellt wäre, in | ||||||
| 35 | einem System derselben auf Erden nicht erreicht werden würde, weil die | ||||||
| 36 | Natur in uns derselben nicht empfänglich ist. Er ist also immer nur | ||||||
| 37 | Glied in der Kette der Naturzwecke: zwar Princip in Ansehung manches | ||||||
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