Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 424 |
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| 01 | sondern mußten dem Samen der männlichen Geschöpfe, dem sie | ||||||
| 02 | übrigens nichts als die mechanische Eigenschaft, zum ersten Nahrungsmittel | ||||||
| 03 | des Embryo zu dienen, zugestanden hatten, doch noch obenein eine | ||||||
| 04 | zweckmäßig bildende Kraft zugestehen: welche sie doch in Ansehung des | ||||||
| 05 | ganzen Products einer Erzeugung von zwei Geschöpfen derselben Gattung | ||||||
| 06 | keinem von beiden einräumen wollten. | ||||||
| 07 | Wenn man dagegen an dem Vertheidiger der Epigenesis den großen | ||||||
| 08 | Vorzug, den er in Ansehung der Erfahrungsgründe zum Beweise | ||||||
| 09 | seiner Theorie vor dem ersteren hat, gleich nicht kennte: so würde die Vernunft | ||||||
| 10 | doch schon zum Voraus für seine Erklärungsart mit vorzüglicher | ||||||
| 11 | Gunst eingenommen sein, weil sie die Natur in Ansehung der Dinge, | ||||||
| 12 | welche man ursprünglich nur nach der Causalität der Zwecke sich als möglich | ||||||
| 13 | vorstellen kann, doch wenigstens, was die Fortpflanzung betrifft, als | ||||||
| 14 | selbst hervorbringend, nicht bloß als entwickelnd betrachtet und so doch | ||||||
| 15 | mit dem kleinst=möglichen Aufwande des Übernatürlichen alles Folgende | ||||||
| 16 | vom ersten Anfange an der Natur überläßt (ohne aber über diesen ersten | ||||||
| 17 | Anfang, an dem die Physik überhaupt scheitert, sie mag es mit einer Kette | ||||||
| 18 | der Ursachen versuchen, mit welcher sie wolle, etwas zu bestimmen). | ||||||
| 19 | In Ansehung dieser Theorie der Epigenesis hat niemand mehr sowohl | ||||||
| 20 | zum Beweise derselben, als auch zur Gründung der ächten Principien | ||||||
| 21 | ihrer Anwendung zum Theil durch die Beschränkung eines zu vermessenen | ||||||
| 22 | Gebrauchs derselben geleistet, als Herr Hofr. Blumenbach. | ||||||
| 23 | Von organisirter Materie hebt er alle physische Erklärungsart dieser Bildungen | ||||||
| 24 | an. Denn daß rohe Materie sich nach mechanischen Gesetzen ursprünglich | ||||||
| 25 | selbst gebildet habe, daß aus der Natur des Leblosen Leben | ||||||
| 26 | habe entspringen und Materie in die Form einer sich selbst erhaltenden | ||||||
| 27 | Zweckmäßigkeit sich von selbst habe fügen können, erklärt er mit Recht für | ||||||
| 28 | vernunftwidrig; läßt aber zugleich dem Naturmechanism unter diesem | ||||||
| 29 | uns unerforschlichen Princip einer ursprünglichen Organisation einen | ||||||
| 30 | unbestimmbaren, zugleich doch auch unverkennbaren Antheil, wozu das | ||||||
| 31 | Vermögen der Materie (zum Unterschiede von der ihr allgemein beiwohnenden | ||||||
| 32 | bloß mechanischen Bildungskraft) von ihm in einem organisirten | ||||||
| 33 | Körper ein (gleichsam unter der höheren Leitung und Anweisung | ||||||
| 34 | der ersteren stehender) Bildungstrieb genannt wird. | ||||||
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