Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 423 |
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| 01 | Wesen entweder als das Educt, oder als das Product des ersteren. | ||||||
| 02 | Das System der Zeugungen als bloßer Educte heißt das der individuellen | ||||||
| 03 | Präformation, oder auch die Evolutionstheorie; das der | ||||||
| 04 | Zeugungen als Producte wird das System der Epigenesis genannt. | ||||||
| 05 | Dieses letztere kann auch System der generischen Präformation genannt | ||||||
| 06 | werden: weil das productive Vermögen der Zeugenden doch nach | ||||||
| 07 | den inneren zweckmäßigen Anlagen, die ihrem Stamme zu Theil wurden, | ||||||
| 08 | also die specifische Form virtualiter präformirt war. Diesem gemäß | ||||||
| 09 | würde man die entgegenstehende Theorie der individuellen Präformation | ||||||
| 10 | auch besser Involutionstheorie (oder die der Einschachtelung) nennen | ||||||
| 11 | können. | ||||||
| 12 | Die Verfechter der Evolutionstheorie, welche jedes Individuum | ||||||
| 13 | von der bildenden Kraft der Natur ausnehmen, um es unmittelbar aus | ||||||
| 14 | der Hand des Schöpfers kommen zu lassen, wollten es also doch nicht wagen, | ||||||
| 15 | dieses nach der Hypothese des Occasionalisms geschehen zu lassen, | ||||||
| 16 | so daß die Begattung eine bloße Formalität wäre, unter der eine oberste | ||||||
| 17 | verständige Weltursache beschlossen hätte, jedesmal eine Frucht mit unmittelbarer | ||||||
| 18 | Hand zu bilden und der Mutter nur die Auswickelung und | ||||||
| 19 | Ernährung derselben zu überlassen. Sie erklärten sich für die Präformation; | ||||||
| 20 | gleich als wenn es nicht einerlei wäre, übernatürlicher Weise im | ||||||
| 21 | Anfange oder im Fortlaufe der Welt dergleichen Formen entstehen zu | ||||||
| 22 | lassen, und nicht vielmehr eine große Menge übernatürlicher Anstalten | ||||||
| 23 | durch gelegentliche Schöpfung erspart würde, welche erforderlich wären, | ||||||
| 24 | damit der im Anfange der Welt gebildete Embryo die lange Zeit hindurch | ||||||
| 25 | bis zu seiner Entwickelung nicht von den zerstörenden Kräften der Natur | ||||||
| 26 | litte und sich unverletzt erhielte, imgleichen eine unermeßlich größere Zahl | ||||||
| 27 | solcher vorgebildeten Wesen, als jemals entwickelt werden sollten, und mit | ||||||
| 28 | ihnen eben so viel Schöpfungen dadurch unnöthig und zwecklos gemacht | ||||||
| 29 | würden. Allein sie wollten doch wenigstens etwas hierin der Natur überlassen, | ||||||
| 30 | um nicht gar in völlige Hyperphysik zu gerathen, die aller Naturerklärung | ||||||
| 31 | entbehren kann. Sie hielten zwar noch fest an ihrer Hyperphysik, | ||||||
| 32 | selbst da sie an Mißgeburten (die man doch unmöglich für Zwecke | ||||||
| 33 | der Natur halten kann) eine bewunderungswürdige Zweckmäßigkeit fanden, | ||||||
| 34 | sollte sie auch nur darauf abgezielt sein, daß ein Anatomiker einmal | ||||||
| 35 | daran, als einer zwecklosen Zweckmäßigkeit, Anstoß nehmen und niederschlagende | ||||||
| 36 | Bewunderung fühlen sollte. Aber die Erzeugung der Bastarte | ||||||
| 37 | konnten sie schlechterdings nicht in das System der Präformation hineinpassen, | ||||||
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