Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 378

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 trocken werden läßt, darum nicht sofort für Naturzwecke halten: weil, obzwar      
  02 diese Gestalt der Oberfläche der Erde zur Entstehung und Erhaltung      
  03 des Gewächs= und Thierreichs sehr nöthig war, sie doch nichts an sich hat,      
  04 zu dessen Möglichkeit man sich genöthigt sähe eine Causalität nach Zwecken      
  05 anzunehmen. Eben das gilt von gewächsen, die der Mensch zu seiner      
  06 Nothdurft oder Ergötzlichkeit nutzt: von Thieren, dem Kameele, dem Rinde,      
  07 dem Pferde, Hunde u. s. w., die er theils zu seiner Nahrung, theils seinem      
  08 Dienste so vielfältig gebrauchen und großentheils gar nicht entbehren      
  09 kann. Von Dingen, deren keines für sich als Zweck anzusehen man Ursache      
  10 hat, kann das äußere Verhältniß nur hypothetisch für zweckmäßig beurtheilt      
  11 werden.      
           
  12 Ein Ding seiner innern Form halber als Naturzweck beurtheilen, ist      
  13 ganz etwas anderes, als die Existenz dieses Dinges für Zweck der Natur      
  14 halten. Zu der letztern Behauptung bedürfen wir nicht bloß den Begriff      
  15 von einem möglichen Zweck, sondern die Erkenntniß des Endzwecks ( scopus )      
  16 der Natur, welches eine Beziehung derselben auf etwas Übersinnliches bedarf,      
  17 die alle unsere teleologische Naturerkenntniß weit übersteigt; denn der      
  18 Zweck der Existenz der Natur selbst muß über die Natur hinaus gesucht      
  19 werden. Die innere Form eines bloßen Grashalms kann seinen bloß      
  20 nach der Regel der Zwecke möglichen Ursprung für unser menschliches      
  21 Beurtheilungsvermögen hinreichend beweisen. Geht man aber davon ab      
  22 und sieht nur auf den Gebrauch, den andere Naturwesen davon machen,      
  23 verläßt also die Betrachtung der innern Organisation und sieht nur auf      
  24 äußere zweckmäßige Beziehungen, wie das Gras dem Vieh, wie dieses      
  25 dem Menschen als Mittel zu seiner Existenz nöthig sei; und man sieht      
  26 nicht, warum es denn nöthig sei, daß Menschen existiren (welches, wenn      
  27 man etwa die Neuholländer oder Feuerländer in Gedanken hat, so leicht      
  28 nicht zu beantworten sein möchte): so gelangt man zu keinem kategorischen      
  29 Zwecke, sondern alle diese zweckmäßige Beziehung beruht auf einer immer      
  30 weiter hinauszusetzenden Bedingung, die als unbedingt (das Dasein eines      
  31 Dinges als Endzweck) ganz außerhalb der physisch=teleologischen Weltbetrachtung      
  32 liegt. Alsdann aber ist ein solches Ding auch nicht Naturzweck;      
  33 denn es ist (oder seine ganze Gattung) nicht als Naturproduct anzusehen.      
           
  35 Es ist also nur die Materie, sofern sie organisirt ist, welche den Begriff      
  36 von ihr als einem Naturzwecke nothwendig bei sich führt, weil diese      
  37 ihre specifische Form zugleich Product der Natur ist. Aber dieser Begriff      
           
     

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