Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 322 |
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01 | die durch Worte aufgeregt werden) sind entweder die der | ||||||
02 | Sinnenwahrheit oder des Sinnenscheins. Die erste heißt die Plastik, | ||||||
03 | die zweite die Malerei. Beide machen Gestalten im Raume zum | ||||||
04 | Ausdrucke für Ideen: jene macht Gestalten für zwei Sinne kennbar, dem | ||||||
05 | Gesichte und Gefühl (obzwar dem letzteren nicht in Absicht auf Schönheit), | ||||||
06 | diese nur für den erstern. Die ästhetische Idee ( Archetypon , Urbild) | ||||||
07 | liegt zu beiden in der Einbildungskraft zum Grunde: die Gestalt aber, | ||||||
08 | welche den Ausdruck derselben ausmacht ( Ektypon , Nachbild), wird entweder | ||||||
09 | in ihrer körperlichen Ausdehnung (wie der Gegenstand selbst existirt) | ||||||
10 | oder nach der Art, wie diese sich im Auge malt (nach ihrer Apparenz | ||||||
11 | in einer Fläche), gegeben; oder, was auch das erstere ist, entweder die | ||||||
12 | Beziehung auf einen wirklichen Zweck, oder nur der Anschein desselben der | ||||||
13 | Reflexion zur Bedingung gemacht. | ||||||
14 | Zur Plastik, als der ersten Art schöner bildender Künste, gehört die | ||||||
15 | Bildhauerkunst und Baukunst. Die erste ist diejenige, welche Begriffe | ||||||
16 | von Dingen, so wie sie in der Natur existiren könnten, körperlich | ||||||
17 | darstellt (doch als schöne Kunst mit Rücksicht auf ästhetische Zweckmäßigkeit); | ||||||
18 | die zweite ist die Kunst, Begriffe von Dingen, die nur | ||||||
19 | durch Kunst möglich sind, und deren Form nicht die Natur, sondern | ||||||
20 | einen willkürlichen Zweck zum Bestimmungsgrunde hat, zu dieser Absicht, | ||||||
21 | doch auch zugleich ästhetisch zweckmäßig darzustellen. Bei der letzteren ist | ||||||
22 | ein gewisser Gebrauch des künstlichen Gegenstandes die Hauptsache, worauf | ||||||
23 | als Bedingung die ästhetischen Ideen eingeschränkt werden. Bei der | ||||||
24 | ersteren ist der bloße Ausdruck ästhetischer Ideen die Hauptabsicht. So | ||||||
25 | sind Bildsäulen von Menschen, Göttern, Thieren u. d. gl. von der erstern | ||||||
26 | Art; aber Tempel, oder Prachtgebäude zum Behuf öffentlicher Versammlungen, | ||||||
27 | oder auch Wohnungen, Ehrenbogen, Säulen, Cenotaphien u. d. | ||||||
28 | gl., zum Ehrengedächtniß errichtet, zur Baukunst gehörig. Ja alle Hausgeräthe | ||||||
29 | (die Arbeit des Tischlers u. d. gl. Dinge zum Gebrauche) können | ||||||
30 | dazu gezählt werden: weil die Angemessenheit des Products zu einem gewissen | ||||||
31 | Gebrauche das Wesentliche eines Bauwerks ausmacht; dagegen | ||||||
32 | ein bloßes Bildwerk, das lediglich zum Anschauen gemacht ist und für | ||||||
33 | sich selbst gefallen soll, als körperliche Darstellung bloße Nachahmung der | ||||||
34 | Natur ist, doch mit Rücksicht auf ästhetische Ideen: wobei denn die Sinnenwahrheit | ||||||
35 | nicht so weit gehen darf, daß es aufhöre als Kunst und | ||||||
36 | Product der Willkür zu erscheinen. | ||||||
37 | Die Malerkunst, als die zweite Art bildender Künste, welche den | ||||||
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