Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 321 |
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| 01 | bildende und die Kunst des Spiels der Empfindungen (als äußerer | ||||||
| 02 | Sinneneindrücke). Man könnte diese Eintheilung auch dichotomisch einrichten, | ||||||
| 03 | so daß die schöne Kunst in die des Ausdrucks der Gedanken, oder | ||||||
| 04 | der Anschauungen und diese wiederum bloß nach ihrer Form, oder ihrer | ||||||
| 05 | Materie (der Empfindung) eingetheilt würde. Allein sie würde alsdann | ||||||
| 06 | zu abstract und nicht so angemessen den gemeinen Begriffen aussehen. | ||||||
| 07 | 1) Die redenden Künste sind Beredsamkeit und Dichtkunst. | ||||||
| 08 | Beredsamkeit ist die Kunst, ein Geschäft des Verstandes als ein freies | ||||||
| 09 | Spiel der Einbildungskraft zu betreiben; Dichtkunst, ein freies Spiel | ||||||
| 10 | der Einbildungskraft als ein Geschäft des Verstandes auszuführen. | ||||||
| 11 | Der Redner also kündigt ein Geschäft an und führt es so aus, als | ||||||
| 12 | ob es bloß ein Spiel mit Ideen sei, um die Zuhörer zu unterhalten. Der | ||||||
| 13 | Dichter kündigt bloß ein unterhaltendes Spiel mit Ideen an, und es | ||||||
| 14 | kommt doch so viel für den Verstand heraus, als ob er bloß dessen Geschäft | ||||||
| 15 | zu treiben die Absicht gehabt hätte. Die Verbindung und Harmonie beider | ||||||
| 16 | Erkenntnißvermögen, der Sinnlichkeit und des Verstandes, die einander | ||||||
| 17 | zwar nicht entbehren können, aber doch auch ohne Zwang und | ||||||
| 18 | wechselseitigen Abbruch sich nicht wohl vereinigen lassen, muß unabsichtlich | ||||||
| 19 | zu sein und sich von selbst so zu fügen scheinen; sonst ist es nicht schöne | ||||||
| 20 | Kunst. Daher alles Gesuchte und Peinliche darin vermieden werden muß; | ||||||
| 21 | denn schöne Kunst muß in doppelter Bedeutung freie Kunst sein: sowohl | ||||||
| 22 | daß sie nicht als Lohngeschäft eine Arbeit sei, deren Größe sich nach einem | ||||||
| 23 | bestimmten Maßstabe beurtheilen, erzwingen oder bezahlen läßt; als auch, | ||||||
| 24 | daß das Gemüth sich zwar beschäftigt, aber dabei doch, ohne auf einen | ||||||
| 25 | andern Zweck hinauszusehen, (unabhängig vom Lohne) befriedigt und erweckt | ||||||
| 26 | fühlt. | ||||||
| 27 | Der Redner giebt also zwar etwas, was er nicht verspricht, nämlich | ||||||
| 28 | ein unterhaltendes Spiel der Einbildungskraft; aber er bricht auch dem | ||||||
| 29 | etwas ab, was er verspricht, und was doch sein angekündigtes Geschäft | ||||||
| 30 | ist, nämlich den Verstand zweckmäßig zu beschäftigen. Der Dichter dagegen | ||||||
| 31 | verspricht wenig und kündigt ein bloßes Spiel mit Ideen an, leistet | ||||||
| 32 | aber etwas, was eines Geschäftes würdig ist, nämlich dem Verstande | ||||||
| 33 | spielend Nahrung zu verschaffen und seinen Begriffen durch Einbildungskraft | ||||||
| 34 | Leben zu geben: mithin jener im Grunde weniger, dieser mehr, als | ||||||
| 35 | er verspricht. | ||||||
| 36 | 2) Die bildenden Künste oder die des Ausdrucks für Ideen in | ||||||
| 37 | der Sinnenanschauung (nicht durch Vorstellungen der bloßen Einbildungskraft, | ||||||
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