Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 320

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 etwas aufgeopfert werden soll, so müßte es eher auf der Seite des Genies      
  02 geschehen: und die Urtheilskraft, welche in Sachen der schönen Kunst aus      
  03 eigenen Principien den Ausspruch thut, wird eher der Freiheit und dem      
  04 Reichthum der Einbildungskraft, als dem Verstande Abbruch zu thun erlauben.      
           
  06 Zur schönen Kunst würden also Einbildungskraft, Verstand,      
  07 Geist und Geschmack erforderlich sein*).      
           
  08

§ 51.

     
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Von der Eintheilung der schönen Künste.

     
           
  10 Man kann überhaupt Schönheit (sie mag Natur= oder Kunstschönheit      
  11 sein) den Ausdruck ästhetischer Ideen nennen: nur daß in der schönen      
  12 Kunst diese Idee durch einen Begriff vom Object veranlaßt werden muß,      
  13 in der schönen Natur aber die bloße Reflexion über eine gegebene Anschauung      
  14 ohne Begriff von dem, was der Gegenstand sein soll, zur Erweckung      
  15 und Mittheilung der Idee, von welcher jenes Object als der      
  16 Ausdruck betrachtet wird, hinreichend ist.      
           
  17 Wenn wir also die schönen Künste eintheilen wollen, so können wir,      
  18 wenigstens zum Versuche, kein bequemeres Princip dazu wählen, als die      
  19 Analogie der Kunst mit der Art des Ausdrucks, dessen sich Menschen im      
  20 Sprechen bedienen, um sich so vollkommen, als möglich ist, einander, d. i.      
  21 nicht bloß ihren Begriffen, sondern auch Empfindungen nach, mitzutheilen**).      
  22 - Dieser besteht in dem Worte, der Geberdung und dem Tone      
  23 (Articulation, Gesticulation und Modulation). Nur die Verbindung dieser      
  24 drei Arten des Ausdrucks macht die vollständige Mittheilung des Sprechenden      
  25 aus. Denn Gedanke, Anschauung und Empfindung werden dadurch      
  26 zugleich und vereinigt auf den andern übergetragen.      
           
  27 Es giebt also nur dreierlei Arten schöner Künste: die redende, die      
           
    *)Die drei ersteren Vermögen bekommen durch das vierte allererst ihre Vereinigung. Hume giebt in seiner Geschichte den Engländern zu verstehen, daß, obzwar sie in ihren Werken keinem Volke in der Welt in Ansehung der Beweisthümer der drei ersteren Eigenschaften, abgesondert betrachtet, etwas nachgäben, sie doch in der, welche sie vereinigt, ihren Nachbaren, den Franzosen, nachstehen müßten.      
           
    **)Der Leser wird diesen Entwurf zu einer möglichen Eintheilung der schönen Künste nicht als beabsichtigte Theorie beurtheilen. Es ist nur einer von den mancherlei Versuchen, die man noch anstellen kann und soll.      
           
     

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