Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 316 |
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01 | die sie in die Lüfte schickt, sind ihre letzten Seufzer für das Wohl der | ||||||
02 | Welt": so belebt er seine Vernunftidee von weltbürgerlicher Gesinnung | ||||||
03 | noch am Ende des Lebens durch ein Attribut, welches die Einbildungskraft | ||||||
04 | (in der Erinnerung an alle Annehmlichkeiten eines vollbrachten | ||||||
05 | schönen Sommertages, die uns ein heiterer Abend ins Gemüth ruft) | ||||||
06 | jener Vorstellung beigesellt, und welches eine Menge von Empfindungen | ||||||
07 | und Nebenvorstellungen rege macht, für die sich kein Ausdruck findet. | ||||||
08 | Andererseits kann sogar ein intellectueller Begriff umgekehrt zum Attribut | ||||||
09 | einer Vorstellung der Sinne dienen und so diese letztere durch die Idee | ||||||
10 | des Übersinnlichen beleben; aber nur indem das Ästhetische, was dem Bewußtsein | ||||||
11 | des letztern subjectiv anhänglich ist, hiezu gebraucht wird. So | ||||||
12 | sagt z. B. ein gewisser Dichter in der Beschreibung eines schönen Morgens: | ||||||
13 | "Die Sonne quoll hervor, wie Ruh aus Tugend quillt." Das Bewußtsein | ||||||
14 | der Tugend, wenn man sich auch nur in Gedanken in die Stelle | ||||||
15 | eines Tugendhaften versetzt, verbreitet im Gemüthe eine Menge erhabener | ||||||
16 | und beruhigender Gefühle und eine gränzenlose Aussicht in eine frohe | ||||||
17 | Zukunft, die kein Ausdruck, welcher einem bestimmten Begriffe angemessen | ||||||
18 | ist, völlig erreicht.*) | ||||||
19 | Mit einem Worte, die ästhetische Idee ist eine einem gegebenen Begriffe | ||||||
20 | beigesellte Vorstellung der Einbildungskraft, welche mit einer solchen | ||||||
21 | Mannigfaltigkeit der Theilvorstellungen in dem freien Gebrauche | ||||||
22 | derselben verbunden ist, daß für sie kein Ausdruck, der einen bestimmten | ||||||
23 | Begriff bezeichnet, gefunden werden kann, die also zu einem Begriffe viel | ||||||
24 | Unnennbares hinzu denken läßt, dessen Gefühl die Erkenntnißvermögen | ||||||
25 | belebt und mit der Sprache, als bloßem Buchstaben, Geist verbindet. | ||||||
26 | Die Gemüthskräfte also, deren Vereinigung (in gewissem Verhältnisse) | ||||||
27 | das Genie ausmacht, sind Einbildungskraft und Verstand. Nur, | ||||||
28 | da im Gebrauch der Einbildungskraft zum Erkenntnisse die Einbildungskraft | ||||||
29 | unter dem Zwange des Verstandes und der Beschränkung unterworfen | ||||||
30 | ist, dem Begriffe desselben angemessen zu sein; in ästhetischer Absicht | ||||||
*)Vielleicht ist nie etwas Erhabneres gesagt, oder ein Gedanke erhabener ausgedrückt worden, als in jener Aufschrift über dem Tempel der Isis (der Mutter Natur): "Ich bin alles, was da ist, was da war, und was da sein wird, und meinen Schleier hat kein Sterblicher aufgedeckt." Segner benutzte diese Idee durch eine sinnreiche seiner Naturlehre vorgesetzte Vignette, um seinen Lehrling, den er in diesen Tempel zu führen bereit war, vorher mit dem heiligen Schauer zu erfüllen, der das Gemüth zu feierlicher Aufmerksamkeit stimmen soll. | |||||||
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