Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 295 |
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01 | das Bedürfniß von andern geleitet zu werden, mithin den Zustand einer | ||||||
02 | passiven Vernunft vorzüglich kenntlich macht. Was die zweite Maxime der | ||||||
03 | Denkungsart betrifft, so sind wir sonst wohl gewohnt, denjenigen eingeschränkt | ||||||
04 | (bornirt, das Gegentheil von erweitert) zu nennen, dessen Talente | ||||||
05 | zu keinem großen Gebrauche (vornehmlich dem intensiven) zulangen. | ||||||
06 | Allein hier ist nicht die Rede vom Vermögen des Erkenntnisses, sondern | ||||||
07 | von der Denkungsart, einen zweckmäßigen Gebrauch davon zu machen: | ||||||
08 | welche, so klein auch der Umfang und der Grad sei, wohin die Naturgabe | ||||||
09 | des Menschen reicht, dennoch einen Mann von erweiterter Denkungsart | ||||||
10 | anzeigt, wenn er sich über die subjectiven Privatbedingungen des Urtheils, | ||||||
11 | wozwischen so viele andere wie eingeklammert sind, wegsetzt und | ||||||
12 | aus einem allgemeinen Standpunkte (den er dadurch nur bestimmen | ||||||
13 | kann, daß er sich in den Standpunkt anderer versetzt) über sein eigenes | ||||||
14 | Urtheil reflectirt. Die dritte Maxime, nämlich die der consequenten | ||||||
15 | Denkungsart, ist am schwersten zu erreichen und kann auch nur durch die | ||||||
16 | Verbindung beider ersten und nach einer zur Fertigkeit gewordenen öfteren | ||||||
17 | Befolgung derselben erreicht werden. Man kann sagen: die erste dieser | ||||||
18 | Maximen ist die Maxime des Verstandes, die zweite der Urtheilskraft, die | ||||||
19 | dritte der Vernunft. | ||||||
20 | Ich nehme den durch diese Episode verlassenen Faden wieder auf und | ||||||
21 | sage: daß der Geschmack mit mehrerem Rechte sensus communis genannt | ||||||
22 | werden könne, als der gesunde Verstand; und daß die ästhetische Urtheilskraft | ||||||
23 | eher als die intellectuelle den Namen eines gemeinschaftlichen | ||||||
24 | Sinnes*) führen könne, wenn man ja das Wort Sinn von einer Wirkung | ||||||
25 | der bloßen Reflexion auf das Gemüth brauchen will: denn da versteht | ||||||
26 | man unter Sinn das Gefühl der Lust. Man könnte sogar den Geschmack | ||||||
27 | durch das Beurtheilungsvermögen desjenigen, was unser Gefühl an einer | ||||||
28 | gegebenen Vorstellung ohne Vermittelung eines Begriffs allgemein | ||||||
29 | mittheilbar macht, definiren. | ||||||
30 | Die Geschicklichkeit der Menschen sich ihre Gedanken mitzutheilen erfordert | ||||||
31 | auch ein Verhältniß der Einbildungskraft und des Verstandes, um | ||||||
32 | den Begriffen Anschauungen und diesen wiederum Begriffe zuzugesellen, | ||||||
33 | die in ein Erkenntniß zusammenfließen; aber alsdann ist die Zusammenstimmung | ||||||
34 | beider Gemüthskräfte gesetzlich unter dem Zwange bestimmter | ||||||
*)Man könnte den Geschmack durch sensus communis aestheticus , den gemeinen Menschenverstand durch sensus communis logicus bezeichnen. | |||||||
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