Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 270 |
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| 01 | lediglich von reinen ästhetischen Urtheilen die Rede sein müsse, folglich | ||||||
| 02 | die Beispiele nicht von solchen schönen oder erhabenen Gegenständen der | ||||||
| 03 | Natur hergenommen werden dürfen, die den Begriff von einem Zwecke | ||||||
| 04 | voraussetzen; denn alsdann würde es entweder teleologische, oder sich auf | ||||||
| 05 | bloßen Empfindungen eines Gegenstandes (Vergnügen oder Schmerz) | ||||||
| 06 | gründende, mithin im ersteren Falle nicht ästhetische, im zweiten nicht | ||||||
| 07 | bloße formale Zweckmäßigkeit sein. Wenn man also den Anblick des bestirnten | ||||||
| 08 | Himmels erhaben nennt, so muß man der Beurtheilung desselben | ||||||
| 09 | nicht Begriffe von Welten, von vernünftigen Wesen bewohnt, und | ||||||
| 10 | nun die hellen Punkte, womit wir den Raum über uns erfüllt sehen, als | ||||||
| 11 | ihre Sonnen in sehr zweckmäßig für sie gestellten Kreisen bewegt, zum | ||||||
| 12 | Grunde legen, sondern bloß, wie man ihn sieht, als ein weites Gewölbe, | ||||||
| 13 | was alles befaßt; und bloß unter dieser Vorstellung müssen wir die Erhabenheit | ||||||
| 14 | setzen, die ein reines ästhetisches Urtheil diesem Gegenstande | ||||||
| 15 | beilegt. Eben so den Anblick des Oceans nicht so, wie wir, mit allerlei | ||||||
| 16 | Kenntnissen (die aber nicht in der unmittelbaren Anschauung enthalten | ||||||
| 17 | sind) bereichert, ihn denken; etwa als ein weites Reich von Wassergeschöpfen, | ||||||
| 18 | als den großen Wasserschatz für die Ausdünstungen, welche die | ||||||
| 19 | Luft mit Wolken zum Behuf der Länder beschwängern, oder auch als ein | ||||||
| 20 | Element, das zwar Welttheile von einander trennt, gleichwohl aber die | ||||||
| 21 | größte Gemeinschaft unter ihnen möglich macht: denn das giebt lauter | ||||||
| 22 | teleologische Urtheile; sondern man muß den Ocean bloß, wie die Dichter | ||||||
| 23 | es thun, nach dem, was der Augenschein zeigt, etwa, wenn er in Ruhe betrachtet | ||||||
| 24 | wird, als einen klaren Wasserspiegel, der bloß vom Himmel begränzt | ||||||
| 25 | ist, aber, ist er unruhig, wie einen alles zu verschlingen drohenden | ||||||
| 26 | Abgrund, dennoch erhaben finden können. Eben das ist von dem Erhabenen | ||||||
| 27 | und Schönen in der Menschengestalt zu sagen, wo wir nicht auf | ||||||
| 28 | Begriffe der Zwecke, wozu alle seine Gliedmaßen da sind, als Bestimmungsgründe | ||||||
| 29 | des Urtheils zurücksehen und die Zusammenstimmung mit | ||||||
| 30 | ihnen auf unser (alsdann nicht mehr reines) ästhetisches Urtheil nicht | ||||||
| 31 | einfließen lassen müssen, obgleich, daß sie jenen nicht widerstreiten, freilich | ||||||
| 32 | eine nothwendige Bedingung auch des ästhetischen Wohlgefallens ist. | ||||||
| 33 | Die ästhetische Zweckmäßigkeit ist die Gesetzmäßigkeit der Urtheilskraft in | ||||||
| 34 | ihrer Freiheit. Das Wohlgefallen an dem Gegenstande hängt von der | ||||||
| 35 | Beziehung ab, in welcher wir die Einbildungskraft setzen wollen: nur daß | ||||||
| 36 | sie für sich selbst das Gemüth in freier Beschäftigung unterhalte. Wenn | ||||||
| 37 | dagegen etwas anderes, es sei Sinnenempfindung oder Verstandesbegriff, | ||||||
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