Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 269

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ächte Beschaffenheit der Sittlichkeit des Menschen ist, wo die Vernunft der      
  02 Sinnlichkeit Gewalt anthun muß, nur daß im ästhetischen Urtheile über      
  03 das Erhabene diese Gewalt durch die Einbildungskraft selbst, als durch      
  04 ein Werkzeug der Vernunft, ausgeübt vorgestellt wird.      
           
  05 Das Wohlgefallen am Erhabenen der Natur ist daher auch nur negativ      
  06 (statt dessen das am Schönen positiv ist), nämlich ein Gefühl      
  07 der Beraubung der Freiheit der Einbildungskraft durch sie selbst, indem      
  08 sie nach einem andern Gesetze, als dem des empirischen Gebrauchs zweckmäßig      
  09 bestimmt wird. Dadurch bekommt sie eine Erweiterung und Macht,      
  10 welche größer ist als die, welche sie aufopfert, deren Grund aber ihr selbst      
  11 verborgen ist, statt dessen sie die Aufopferung oder die Beraubung und      
  12 zugleich die Ursache fühlt, der sie unterworfen wird. Die Verwunderung,      
  13 die an Schreck gränzt, das Grausen und der heilige Schauer, welcher      
  14 den Zuschauer bei dem Anblicke himmelansteigender Gebirgsmassen,      
  15 tiefer Schlünde und darin tobender Gewässer, tiefbeschatteter, zum schwermüthigen      
  16 Nachdenken einladender Einöden u. s. w. ergreift, ist bei der      
  17 Sicherheit, worin er sich weiß, nicht wirkliche Furcht, sondern nur ein      
  18 Versuch, uns mit der Einbildungskraft darauf einzulassen, um die Macht      
  19 ebendesselben Vermögens zu fühlen, die dadurch erregte Bewegung des      
  20 Gemüths mit dem Ruhestande desselben zu verbinden und so der Natur      
  21 in uns selbst, mithin auch der außer uns, sofern sie auf das Gefühl unseres      
  22 Wohlbefindens Einfluß haben kann, überlegen zu sein. Denn die Einbildungskraft      
  23 nach dem Associationsgesetze macht unseren Zustand der      
  24 Zufriedenheit physisch abhängig; aber eben dieselbe nach Principien des      
  25 Schematisms der Urtheilskraft (folglich sofern der Freiheit untergeordnet)      
  26 ist Werkzeug der Vernunft und ihrer Ideen, als solches aber eine      
  27 Macht, unsere Unabhängigkeit gegen die Natureinflüsse zu behaupten,      
  28 das, was nach der ersteren groß ist, als klein abzuwürdigen und so das      
  29 Schlechthin=Große nur in seiner (des Subjects) eigenen Bestimmung zu      
  30 setzen. Diese Reflexion der ästhetischen Urtheilskraft, sich zur Angemessenheit      
  31 mit der Vernunft (doch ohne einen bestimmten Begriff derselben) zu      
  32 erheben, stellt den Gegenstand selbst durch die objective Unangemessenheit      
  33 der Einbildungskraft in ihrer größten Erweiterung für die Vernunft (als      
  34 Vermögen der Ideen) doch als subjectiv=zweckmäßig vor.      
           
  35 Man muß hier überhaupt darauf Acht haben, was oben schon erinnert      
  36 worden ist, daß in der transscendentalen Ästhetik der Urtheilskraft      
           
     

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