Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 268 |
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| 01 | Man kann das Erhabene so beschreiben: es ist ein Gegenstand (der | ||||||
| 02 | Natur), dessen Vorstellung das Gemüth bestimmt, sich die Unerreichbarkeit | ||||||
| 03 | der Natur als Darstellung von Ideen zu denken. | ||||||
| 04 | Buchstäblich genommen und logisch betrachtet, können Ideen nicht | ||||||
| 05 | dargestellt werden. Aber wenn wir unser empirisches Vorstellungsvermögen | ||||||
| 06 | (mathematisch, oder dynamisch) für die Anschauung der Natur erweitern: | ||||||
| 07 | so tritt unausbleiblich die Vernunft hinzu, als Vermögen der | ||||||
| 08 | Independenz der absoluten Totalität, und bringt die, obzwar vergebliche, | ||||||
| 09 | Bestrebung des Gemüths hervor, die Vorstellung der Sinne dieser angemessen | ||||||
| 10 | zu machen. Diese Bestrebung und das Gefühl der Unerreichbarkeit | ||||||
| 11 | der Idee durch die Einbildungskraft ist selbst eine Darstellung der subjectiven | ||||||
| 12 | Zweckmäßigkeit unseres Gemüths im Gebrauche der Einbildungskraft | ||||||
| 13 | für dessen übersinnliche Bestimmung und nöthigt uns, subjectiv die | ||||||
| 14 | Natur selbst in ihrer Totalität, als Darstellung von etwas Übersinnlichem, | ||||||
| 15 | zu denken, ohne diese Darstellung objectiv zu Stande bringen zu können. | ||||||
| 16 | Denn das werden wir bald inne, daß der Natur im Raume und der | ||||||
| 17 | Zeit das Unbedingte, mithin auch die absolute Größe ganz abgehe, die | ||||||
| 18 | doch von der gemeinsten Vernunft verlangt wird. Eben dadurch werden | ||||||
| 19 | wir auch erinnert, daß wir es nur mit einer Natur als Erscheinung zu | ||||||
| 20 | thun haben, und diese selbst noch als bloße Darstellung einer Natur an | ||||||
| 21 | sich (welche die Vernunft in der Idee hat) müsse angesehen werden. Diese | ||||||
| 22 | Idee des Übersinnlichen aber, die wir zwar nicht weiter bestimmen, mithin | ||||||
| 23 | die Natur als Darstellung derselben nicht erkennen, sondern nur | ||||||
| 24 | denken können, wird in uns durch einen Gegenstand erweckt, dessen ästhetische | ||||||
| 25 | Beurtheilung die Einbildungskraft bis zu ihrer Gränze, es sei der Erweiterung | ||||||
| 26 | (mathematisch), oder ihrer Macht über das Gemüth (dynamisch), | ||||||
| 27 | anspannt, indem sie sich auf dem Gefühle einer Bestimmung desselben | ||||||
| 28 | gründet, welche das Gebiet der ersteren gänzlich überschreitet (dem moralischen | ||||||
| 29 | Gefühl), in Ansehung dessen die Vorstellung des Gegenstandes als | ||||||
| 30 | subjectiv=zweckmäßig beurtheilt wird. | ||||||
| 31 | In der That läßt sich ein Gefühl für das Erhabene der Natur nicht | ||||||
| 32 | wohl denken, ohne eine Stimmung des Gemüths, die der zum moralischen | ||||||
| 33 | ähnlich ist, damit zu verbinden; und obgleich die unmittelbare Lust am | ||||||
| 34 | Schönen der Natur gleichfalls eine gewisse Liberalität der Denkungsart, | ||||||
| 35 | d. i. Unabhängigkeit des Wohlgefallens vom bloßen Sinnengenusse, | ||||||
| 36 | voraussetzt und cultivirt, so wird dadurch noch mehr die Freiheit im | ||||||
| 37 | Spiele, als unter einem gesetzlichen Geschäfte vorgestellt: welches die | ||||||
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