Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 246 |
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01 | angefüllt haben, wenn es durch eine solche Anschauung zu einem Gefühl | ||||||
02 | gestimmt werden soll, welches selbst erhaben ist, indem das Gemüth die | ||||||
03 | Sinnlichkeit zu verlassen und sich mit Ideen, die höhere Zweckmäßigkeit | ||||||
04 | enthalten, zu beschäftigen angereizt wird. | ||||||
05 | Die selbstständige Naturschönheit entdeckt uns eine Technik der Natur, | ||||||
06 | welche sie als ein System nach Gesetzen, deren Princip wir in unserm | ||||||
07 | ganzen Verstandesvermögen nicht antreffen, vorstellig macht, nämlich dem | ||||||
08 | einer Zweckmäßigkeit respectiv auf den Gebrauch der Urtheilskraft in Ansehung | ||||||
09 | der Erscheinungen, so daß diese nicht bloß als zur Natur in ihrem | ||||||
10 | zwecklosen Mechanism, sondern auch als zur Analogie mit der Kunst gehörig | ||||||
11 | beurtheilt werden müssen. Sie erweitert also wirklich zwar nicht | ||||||
12 | unsere Erkenntniß der Naturobjecte, aber doch unsern Begriff von der | ||||||
13 | Natur, nämlich als bloßem Mechanism, zu dem Begriff von eben derselben | ||||||
14 | als Kunst: welches zu tiefen Untersuchungen über die Möglichkeit einer | ||||||
15 | solchen Form einladet. Aber in dem, was wir an ihr erhaben zu nennen | ||||||
16 | pflegen, ist so gar nichts, was auf besondere objective Principien und diesen | ||||||
17 | gemäße Formen der Natur führte, daß diese vielmehr in ihrem Chaos | ||||||
18 | oder in ihrer wildesten, regellosesten Unordnung und Verwüstung, wenn | ||||||
19 | sich nur Größe und Macht blicken läßt, die Ideen des Erhabenen am | ||||||
20 | meisten erregt. Daraus sehen wir, daß der Begriff des Erhabenen der | ||||||
21 | Natur bei weitem nicht so wichtig und an Folgerungen reichhaltig sei, als | ||||||
22 | der des Schönen in derselben; und daß er überhaupt nichts Zweckmäßiges | ||||||
23 | in der Natur selbst, sondern nur in dem möglichen Gebrauche ihrer Anschauungen, | ||||||
24 | um eine von der Natur ganz unabhängige Zweckmäßigkeit in | ||||||
25 | uns selbst fühlbar zu machen, anzeige. Zum Schönen der Natur müssen | ||||||
26 | wir einen Grund außer uns suchen, zum Erhabenen aber bloß in uns und | ||||||
27 | der Denkungsart, die in die Vorstellung der ersteren Erhabenheit hineinbringt; | ||||||
28 | eine sehr nöthige vorläufige Bemerkung, welche die Ideen des Erhabenen | ||||||
29 | von der einer Zweckmäßigkeit der Natur ganz abtrennt und aus | ||||||
30 | der Theorie desselben einen bloßen Anhang zur ästhetischen Beurtheilung | ||||||
31 | der Zweckmäßigkeit der Natur macht, weil dadurch keine besondere Form | ||||||
32 | in dieser vorgestellt, sondern nur ein zweckmäßiger Gebrauch, den die Einbildungskraft | ||||||
33 | von ihrer Vorstellung macht, entwickelt wird. | ||||||
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