Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 242 |
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01 | zu allerlei möglicher Absicht. Ein Zimmer, dessen Wände schiefe | ||||||
02 | Winkel machen, ein Gartenplatz von solcher Art, selbst alle Verletzung der | ||||||
03 | Symmetrie sowohl in der Gestalt der Thiere (z. B. einäugig zu sein), als | ||||||
04 | der Gebäude oder der Blumenstücke mißfällt, weil es zweckwidrig ist, nicht | ||||||
05 | allein praktisch in Ansehung eines bestimmten Gebrauchs dieser Dinge, | ||||||
06 | sondern auch für die Beurtheilung in allerlei möglicher Absicht; welches | ||||||
07 | der Fall im Geschmacksurtheile nicht ist, welches, wenn es rein ist, Wohlgefallen | ||||||
08 | oder Mißfallen ohne Rücksicht auf den Gebrauch oder einen Zweck | ||||||
09 | mit der bloßen Betrachtung des Gegenstandes unmittelbar verbindet. | ||||||
10 | Die Regelmäßigkeit, die zum Begriffe von einem Gegenstande führt, | ||||||
11 | ist zwar die unentbehrliche Bedingung ( conditio sine qua non ), den Gegenstand | ||||||
12 | in eine einzige Vorstellung zu fassen und das Mannigfaltige in | ||||||
13 | der Form desselben zu bestimmen. Diese Bestimmung ist ein Zweck in | ||||||
14 | Ansehung der Erkenntniß; und in Beziehung auf diese ist sie auch jederzeit | ||||||
15 | mit Wohlgefallen (welches die Bewirkung einer jeden auch bloß problematischen | ||||||
16 | Absicht begleitet) verbunden. Es ist aber alsdann bloß die | ||||||
17 | Billigung der Auflösung, die einer Aufgabe Gnüge thut, und nicht eine | ||||||
18 | freie und unbestimmt=zweckmäßige Unterhaltung der Gemüthskräfte mit | ||||||
19 | dem, was wir schön nennen, und wobei der Verstand der Einbildungskraft | ||||||
20 | und nicht diese jenem zu Diensten ist. | ||||||
21 | An einem Dinge, das nur durch eine Absicht möglich ist, einem Gebäude, | ||||||
22 | selbst einem Thier muß die Regelmäßigkeit, die in der Symmetrie | ||||||
23 | besteht, die Einheit der Anschauung ausdrücken, welche den Begriff des | ||||||
24 | Zwecks begleitet, und gehört mit zum Erkenntnisse. Aber wo nur ein | ||||||
25 | freies Spiel der Vorstellungskräfte (doch unter der Bedingung, daß der | ||||||
26 | Verstand dabei keinen Anstoß leide) unterhalten werden soll, in Lustgärten, | ||||||
27 | Stubenverzierung, allerlei geschmackvollem Geräthe u. d. gl., wird die Regelmäßigkeit, | ||||||
28 | die sich als Zwang ankündigt, so viel möglich vermieden; daher | ||||||
29 | der englische Geschmack in Gärten, der Barockgeschmack an Möbeln die | ||||||
30 | Freiheit der Einbildungskraft wohl eher bis zur Annäherung zum Grotesken | ||||||
31 | treibt und in dieser Absonderung von allem Zwange der Regel eben | ||||||
32 | den Fall setzt, wo der Geschmack in Entwürfen der Einbildungskraft seine | ||||||
33 | größte Vollkommenheit zeigen kann. | ||||||
34 | Alles Steif=Regelmäßige (was der mathematischen Regelmäßigkeit | ||||||
35 | nahe kommt) hat das Geschmackswidrige an sich: daß es keine lange Unterhaltung | ||||||
36 | mit der Betrachtung desselben gewährt, sondern, sofern es nicht | ||||||
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