Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 241 |
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01 | Zusammensetzung des Mannigfaltigen enthält, wie sie die Einbildungskraft, | ||||||
02 | wenn sie sich selbst frei überlassen wäre, in Einstimmung mit der | ||||||
03 | Verstandesgesetzmäßigkeit überhaupt entwerfen würde. Allein daß die | ||||||
04 | Einbildungskraft frei und doch von selbst gesetzmäßig sei, d. i. | ||||||
05 | daß sie eine Autonomie bei sich führe, ist ein Widerspruch. Der Verstand | ||||||
06 | allein giebt das Gesetz. Wenn aber die Einbildungskraft nach einem bestimmten | ||||||
07 | Gesetze zu verfahren genöthigt wird, so wird ihr Product der | ||||||
08 | Form nach durch Begriffe bestimmt, wie es sein soll; aber alsdann ist das | ||||||
09 | Wohlgefallen, wie oben gezeigt, nicht das am Schönen, sondern am Guten | ||||||
10 | (der Vollkommenheit, allenfalls bloß der formalen), und das Urtheil ist | ||||||
11 | kein Urtheil durch Geschmack. Es wird also eine Gesetzmäßigkeit ohne | ||||||
12 | Gesetz und eine subjective Übereinstimmung der Einbildungskraft zum | ||||||
13 | Verstande ohne eine objective, da die Vorstellung auf einen bestimmten | ||||||
14 | Begriff von einem Gegenstande bezogen wird, mit der freien Gesetzmäßigkeit | ||||||
15 | des Verstandes (welche auch Zweckmäßigkeit ohne Zweck genannt worden) | ||||||
16 | und mit der Eigenthümlichkeit eines Geschmacksurtheils allein zusammen | ||||||
17 | bestehen können. | ||||||
18 | Nun werden geometrisch=regelmäßige Gestalten, eine Cirkelfigur, ein | ||||||
19 | Quadrat, ein Würfel u. s. w., von Kritikern des Geschmacks gemeiniglich | ||||||
20 | als die einfachsten und unzweifelhaftesten Beispiele der Schönheit angeführt; | ||||||
21 | und dennoch werden sie eben darum regelmäßig genannt, weil man | ||||||
22 | sie nicht anders vorstellen kann als so, daß sie für bloße Darstellungen | ||||||
23 | eines bestimmten Begriffs, der jener Gestalt die Regel vorschreibt (nach | ||||||
24 | der sie allein möglich ist), angesehen werden. Eines von beiden muß also | ||||||
25 | irrig sein: entweder jenes Urtheil der Kritiker, gedachten Gestalten Schönheit | ||||||
26 | beizulegen; oder das unsrige, welches Zweckmäßigkeit ohne Begriff zur | ||||||
27 | Schönheit nöthig findet. | ||||||
28 | Niemand wird leichtlich einen Menschen von Geschmack dazu nöthig | ||||||
29 | finden, um an einer Cirkelgestalt mehr Wohlgefallen, als an einem kritzlichen | ||||||
30 | Umrisse, an einem gleichseitigen und gleicheckigen Viereck mehr, als | ||||||
31 | an einem schiefen, ungleichseitigen, gleichsam verkrüppelten zu finden; denn | ||||||
32 | dazu gehört nur gemeiner Verstand und gar kein Geschmack. Wo eine Absicht, | ||||||
33 | z. B. die Größe eines Platzes zu beurtheilen, oder das Verhältniß | ||||||
34 | der Theile zu einander und zum Ganzen in einer Eintheilung faßlich zu | ||||||
35 | machen, wahrgenommen wird: da sind regelmäßige Gestalten und zwar | ||||||
36 | die von der einfachsten Art nöthig; und das Wohlgefallen ruht nicht unmittelbar | ||||||
37 | auf dem Anblicke der Gestalt, sondern der Brauchbarkeit derselben | ||||||
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