Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 238 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | letztern fällt, auf unbedingte Nothwendigkeit seines Urtheils Anspruch | ||||||
02 | machen. Wären sie ohne alles Princip, wie die des bloßen Sinnengeschmacks, | ||||||
03 | so würde man sich gar keine Nothwendigkeit derselben in die Gedanken | ||||||
04 | kommen lassen. Also müssen sie ein subjectives Princip haben, | ||||||
05 | welches nur durch Gefühl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeingültig | ||||||
06 | bestimme, was gefalle oder mißfalle. Ein solches Princip aber | ||||||
07 | könnte nur als ein Gemeinsinn angesehen werden, welcher vom gemeinen | ||||||
08 | Verstande, den man bisweilen auch Gemeinsinn ( sensus communis ) | ||||||
09 | nennt, wesentlich unterschieden ist: indem letzterer nicht nach Gefühl, | ||||||
10 | sondern jederzeit nach Begriffen, wiewohl gemeiniglich nur als nach dunkel | ||||||
11 | vorgestellten Principien, urtheilt. | ||||||
12 | Also nur unter der Voraussetzung, daß es einen Gemeinsinn gebe | ||||||
13 | (wodurch wir aber keinen äußern Sinn, sondern die Wirkung aus dem | ||||||
14 | freien Spiel unserer Erkenntnißkräfte verstehen), nur unter Voraussetzung, | ||||||
15 | sage ich, eines solchen Gemeinsinns kann das Geschmacksurtheil gefällt | ||||||
16 | werden. | ||||||
17 | § 21. |
||||||
18 | Ob man mit Grunde einen Gemeinsinn voraussetzen könne. |
||||||
19 | Erkenntnisse und Urtheile müssen sich sammt der Überzeugung, die sie | ||||||
20 | begleitet, allgemein mittheilen lassen; denn sonst käme ihnen keine Übereinstimmung | ||||||
21 | mit dem Object zu: sie wären insgesammt ein bloß subjectives | ||||||
22 | Spiel der Vorstellungskräfte, gerade so wie es der Skepticism | ||||||
23 | verlangt. Sollen sich aber Erkenntnisse mittheilen lassen, so muß sich auch | ||||||
24 | der Gemüthszustand, d. i. die Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer | ||||||
25 | Erkenntniß überhaupt, und zwar diejenige Proportion, welche sich für | ||||||
26 | eine Vorstellung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird) gebührt, | ||||||
27 | um daraus Erkenntniß zu machen, allgemein mittheilen lassen: weil ohne | ||||||
28 | diese als subjective Bedingung des Erkennens das Erkenntniß als Wirkung | ||||||
29 | nicht entspringen könnte. Dieses geschieht auch wirklich jederzeit, wenn | ||||||
30 | ein gegebener Gegenstand vermittelst der Sinne die Einbildungskraft zur | ||||||
31 | Zusammensetzung des Mannigfaltigen, diese aber den Verstand zur Einheit | ||||||
32 | desselben in Begriffen in Thätigkeit bringt. Aber diese Stimmung | ||||||
33 | der Erkenntnißkräfte hat nach Verschiedenheit der Objecte, die gegeben | ||||||
34 | werden, eine verschiedene Proportion. Gleichwohl aber muß es eine geben, | ||||||
35 | in welcher dieses innere Verhältniß zur Belebung (einer durch die andere) | ||||||
36 | die zuträglichste für beide Gemüthskräfte in Absicht auf Erkenntniß (gegebener | ||||||
[ Seite 237 ] [ Seite 239 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |