Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 214 |
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| 01 | Geschmacksurtheil (über das Schöne) das Wohlgefallen an einem Gegenstande | ||||||
| 02 | jedermann ansinne, ohne sich doch auf einem Begriffe zu Gründen | ||||||
| 03 | (denn da wäre es das Gute); und daß dieser Anspruch auf Allgemeingültigkeit | ||||||
| 04 | so wesentlich zu einem Urtheil gehöre, wodurch wir etwas für schön | ||||||
| 05 | erklären, daß, ohne dieselbe dabei zu denken, es niemand in die Gedanken | ||||||
| 06 | kommen würde, diesen Ausdruck zu gebrauchen, sondern alles, was ohne | ||||||
| 07 | Begriff gefällt, zum Angenehmen gezählt werden würde, in Ansehung dessen | ||||||
| 08 | man jeglichem seinen Kopf für sich haben läßt, und keiner dem andern | ||||||
| 09 | Einstimmung zu seinem Geschmacksurtheile zumuthet, welches doch im Geschmacksurtheile | ||||||
| 10 | über Schönheit jederzeit geschieht. Ich kann den ersten | ||||||
| 11 | den Sinnen=Geschmack, den zweiten den Reflexions=Geschmack nennen: sofern | ||||||
| 12 | der erstere bloß Privaturtheile, der zweite aber vorgebliche gemeingültige | ||||||
| 13 | (publike), beiderseits aber ästhetische (nicht praktische) Urtheile über | ||||||
| 14 | einen Gegenstand bloß in Ansehung des Verhältnisses seiner Vorstellung | ||||||
| 15 | zum Gefühl der Lust und Unlust fällt. Nun ist es doch befremdlich, daß, | ||||||
| 16 | da von dem Sinnengeschmack nicht allein die Erfahrung zeigt, daß sein | ||||||
| 17 | Urtheil (der Lust oder Unlust an irgend etwas) nicht allgemein gelte, sondern | ||||||
| 18 | jedermann auch von selbst so bescheiden ist, diese Einstimmung andern | ||||||
| 19 | nicht eben anzusinnen (ob sich gleich wirklich öfter eine sehr ausgebreitete | ||||||
| 20 | Einhelligkeit auch in diesen Urtheilen vorfindet), der Reflexions=Geschmack, | ||||||
| 21 | der doch auch oft genug mit seinem Anspruche auf die allgemeine Gültigkeit | ||||||
| 22 | seines Urtheils (über das Schöne) für jedermann abgewiesen wird, | ||||||
| 23 | wie die Erfahrung lehrt, gleichwohl es möglich finden könne (welches er | ||||||
| 24 | auch wirklich thut) sich Urtheile vorzustellen, die diese Einstimmung allgemein | ||||||
| 25 | fordern könnten, und sie in der That für jedes seiner Geschmacksurtheile | ||||||
| 26 | jedermann zumuthet, ohne daß die Urtheilenden wegen der Möglichkeit | ||||||
| 27 | eines solchen Anspruchs in Streite sind, sondern sich nur in besondern | ||||||
| 28 | Fällen wegen der richtigen Anwendung dieses Vermögens nicht | ||||||
| 29 | einigen können. | ||||||
| 30 | Hier ist nun allererst zu merken, daß eine Allgemeinheit, die nicht auf | ||||||
| 31 | Begriffen vom Objecte (wenn gleich nur empirischen) beruht, gar nicht | ||||||
| 32 | logisch, sondern ästhetisch sei, d. i. keine objective Quantität des Urtheils, | ||||||
| 33 | sondern nur eine subjective enthalte, für welche ich auch den Ausdruck Gemeingültigkeit, | ||||||
| 34 | welcher die Gültigkeit nicht von der Beziehung einer | ||||||
| 35 | Vorstellung auf das Erkenntnißvermögen, sondern auf das Gefühl der | ||||||
| 36 | Lust und Unlust für jedes Subject bezeichnet, gebrauche. (Man kann sich | ||||||
| 37 | aber auch desselben Ausdrucks für die logische Quantität des Urtheils bedienen, | ||||||
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