Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 213

     
           
 

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  01 weil er sie mehrmals mit dem seinigen einstimmig befunden hat, sondern      
  02 fordert es von ihnen. Er tadelt sie, wenn sie anders urtheilen, und spricht      
  03 ihnen den Geschmack ab, von dem er doch verlangt, daß sie ihn haben sollen;      
  04 und sofern kann man nicht sagen: ein jeder hat seinen besondern Geschmack.      
  05 Dieses würde so viel heißen, als: es giebt gar keinen Geschmack,      
  06 d. i. kein ästhetisches Urtheil, welches auf jedermanns Beistimmung rechtmäßigen      
  07 Anspruch machen könnte.      
           
  08 Gleichwohl findet man auch in Ansehung des Angenehmen, daß in      
  09 der Beurtheilung desselben sich Einhelligkeit unter Menschen antreffen lasse,      
  10 in Absicht auf welche man doch einigen den Geschmack abspricht, andern      
  11 ihn zugesteht und zwar nicht in der Bedeutung als Organsinn, sondern      
  12 als Beurtheilungsvermögen in Ansehung des Angenehmen überhaupt.      
  13 So sagt man von jemanden, der seine Gäste mit Annehmlichkeiten (des      
  14 Genusses durch alle Sinne) so zu unterhalten Weiß, daß es ihnen insgesammt      
  15 gefällt: er habe Geschmack. Aber hier wird die Allgemeinheit nur      
  16 comparativ genommen; und da giebt es nur generale (wie die empirischen      
  17 alle sind), nicht universale Regeln, welche letzteren das Geschmacksurtheil      
  18 über das Schöne sich unternimmt oder darauf Anspruch macht. Es      
  19 ist ein Urtheil in Beziehung auf die Geselligkeit, sofern sie auf empirischen      
  20 Regeln beruht. In Ansehung des Guten machen die Urtheile zwar auch      
  21 mit Recht auf Gültigkeit für jedermann Anspruch; allein das Gute wird      
  22 nur durch einen Begriff als Object eines allgemeinen Wohlgefallens      
  23 vorgestellt, welches weder beim Angenehmen noch beim Schönen der      
  24 Fall ist.      
           
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§ 8.

     
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Die Allgemeinheit des Wohlgefallens wird in einem Geschmacksurtheile

     
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nur als subjectiv vorgestellt.

     
           
  28 Diese besondere Bestimmung der Allgemeinheit eines ästhetischen Urtheils,      
  29 die sich in einem Geschmacksurtheile antreffen läßt, ist eine Merkwürdigkeit,      
  30 zwar nicht für den Logiker, aber wohl für den Transscendental      
  31 Philosophen,welche seine nicht geringe Bemühung auffordert, um den      
  32 Ursprung derselben zu entdecken, dafür aber auch eine Eigenschaft unseres      
  33 Erkenntnißvermögens aufdeckt, welche ohne diese Zergliederung unbekannt      
  34 geblieben wäre.      
           
  35 Zuerst muß man sich davon völlig überzeugen: daß man durch das      
           
     

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