Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 195

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
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IX

     
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Von der Verknüpfung der Gesetzgebungen des Verstandes

     
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und der Vernunft durch die Urtheilskraft.

     
           
  04 Der Verstand ist a priori gesetzgebend für die Natur, als Object der      
  05 Sinne, zu einem theoretischen Erkenntniß derselben in einer möglichen      
  06 Erfahrung. Die Vernunft ist a priori gesetzgebend für die Freiheit und      
  07 ihre eigene Causalität, als das Übersinnliche in dem Subjecte, zu einem      
  08 unbedingt=praktischen Erkenntniß. Das Gebiet des Naturbegriffs unter      
  09 der einen und das des Freiheitsbegriffs unter der anderen Gesetzgebung      
  10 sind gegen allen wechselseitigen Einfluß, den sie für sich (ein jedes nach      
  11 seinen Grundgesetzen) auf einander haben könnten, durch die große Kluft,      
  12 welche das Übersinnliche von den Erscheinungen trennt, gänzlich abgesondert.      
  13 Der Freiheitsbegriff bestimmt nichts in Ansehung der theoretischen      
  14 Erkenntniß der Natur; der Naturbegriff eben sowohl nichts in Ansehung      
  15 der praktischen Gesetze der Freiheit: und es ist in sofern nicht möglich,      
  16 eine Brücke von einem Gebiete zu dem andern hinüberzuschlagen.      
  17 Allein wenn die Bestimmungsgründe der Causalität nach dem Freiheitsbegriffe      
  18 (und der praktischen Regel, die er enthält) gleich nicht in der Natur      
  19 belegen sind, und das Sinnliche das Übersinnliche im Subjecte nicht      
  20 bestimmen kann: so ist dieses doch umgekehrt (zwar nicht in Ansehung des      
  21 Erkenntnisses der Natur, aber doch der Folgen aus dem ersteren auf die      
  22 letztere) möglich und schon in dem Begriffe einer Causalität durch Freiheit      
  23 enthalten, deren Wirkung diesen ihren formalen Gesetzen gemäß in      
  24 der Welt geschehen soll, obzwar das Wort Ursache, von dem Übersinnlichen      
  25 gebraucht, nur den Grund bedeutet, die Causalität der Naturdinge      
  26 zu einer Wirkung gemäß ihren eigenen Naturgesetzen, zugleich aber doch      
  27 auch mit dem formalen Princip der Vernunftgesetze einhellig zu bestimmen,      
  28 wovon die Möglichkeit zwar nicht eingesehen, aber der Einwurf von      
  29 einem vorgeblichen Widerspruch, der sich darin fände, hinreichend widerlegt      
  30 werden kann*). - Die Wirkung nach dem Freiheitsbegriffe ist der      
           
    *)Einer von den verschiedenen vermeinten Widersprüchen in dieser gänzlichen Unterscheidung der Naturcausalität von der durch Freiheit ist der, da man ihr den Vorwurf macht: daß, wenn ich von Hindernissen, die die Natur der Causalität nach Freiheitsgesetzen (den moralischen) legt, oder ihre Beförderung durch dieselbe rede, ich doch der ersteren auf die letztere einen Einfluß einräume. Aber wenn [Seitenumbruch] man das Gesagte nur verstehen will, so ist die Mißdeutung sehr leicht zu Verhüten. Der Widerstand, oder die Beförderung ist nicht zwischen der Natur und der Freiheit, sondern der ersteren als Erscheinung und den Wirkungen der letztern als Erscheinungen in der Sinnenwelt; und selbst die Causalität der Freiheit (der reinen und praktischen Vernunft) ist die Causalität einer jener untergeordneten Naturursache (des Subjects, als Mensch, folglich als Erscheinung betrachtet), von deren Bestimmung das Intelligible, welches unter der Freiheit gedacht wird, auf eine übrigens (eben so wie eben dasselbe, was das übersinnliche Substrat der Natur ausmacht) unerklärliche Art den Grund enthält.      
           
     

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