Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 129 |
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| 01 | Richtschnur angewiesen, das dieser proportionirte Wohl aber, die Seligkeit, | ||||||
| 02 | nur als in einer Ewigkeit erreichbar vorgestellt: weil jene immer | ||||||
| 03 | das Urbild ihres Verhaltens in jedem Stande sein muß, und das Fortschreiten | ||||||
| 04 | zu ihr schon in diesem Leben möglich und nothwendig ist, diese | ||||||
| 05 | aber in dieser Welt unter dem Namen der Glückseligkeit gar nicht erreicht | ||||||
| 06 | werden kann (so viel auf unser Vermögen ankommt) und daher lediglich | ||||||
| 07 | zum Gegenstande der Hoffnung gemacht wird. Diesem ungeachtet ist das | ||||||
| 08 | christliche Princip der Moral selbst doch nicht theologisch (mithin Heteronomie), | ||||||
| 09 | sondern Autonomie der reinen praktischen Vernunft für sich selbst, | ||||||
| 10 | weil sie die Erkenntniß Gottes und seines Willens nicht zum Grunde dieser | ||||||
| 11 | Gesetze, sondern nur der Gelangung zum höchsten Gute unter der Bedingung | ||||||
| 12 | der Befolgung derselben macht und selbst die eigentliche Triebfeder | ||||||
| 13 | zu Befolgung der ersteren nicht in den gewünschten Folgen derselben, | ||||||
| 14 | sondern in der Vorstellung der Pflicht allein setzt, als in deren | ||||||
| 15 | treuer Beobachtung die Würdigkeit des Erwerbs der letztern allein besteht. | ||||||
| 16 | Auf solche Weise führt das moralische Gesetz durch den Begriff des | ||||||
| 17 | höchsten Guts, als das Object und den Endzweck der reinen praktischen | ||||||
| 18 | Vernunft, zur Religion, d. i. zur Erkenntniß aller Pflichten als | ||||||
| 19 | göttlicher Gebote, nicht als Sanctionen, d. i. willkürliche, für | ||||||
| 20 | sich selbst zufällige Verordnungen eines fremden Willens, sondern | ||||||
| 21 | als wesentlicher Gesetze eines jeden freien Willens für sich selbst, die | ||||||
| 22 | aber dennoch als Gebote des höchsten Wesens angesehen werden müssen, | ||||||
| 23 | weil wir nur von einem moralisch vollkommenen (heiligen und gütigen), | ||||||
| 24 | zugleich auch allgewaltigen Willen das höchste Gut, welches zum Gegenstande | ||||||
| 25 | unserer Bestrebung zu setzen uns das moralische Gesetz zur Pflicht | ||||||
| 26 | macht, und also durch Übereinstimmung mit diesem Willen dazu zu gelangen | ||||||
| 27 | hoffen können. Auch hier bleibt daher alles uneigennützig und blos | ||||||
| 28 | auf Pflicht gegründet; ohne daß Furcht oder Hoffnung als Triebfedern | ||||||
| 29 | zum Grunde gelegt werden dürften, die, wenn sie zu Principien werden, | ||||||
| 30 | den ganzen moralischen Werth der Handlungen vernichten. Das moralische | ||||||
| 31 | Gesetz gebietet, das höchste mögliche Gut in einer Welt mir zum letzten | ||||||
| 32 | Gegenstande alles Verhaltens zu machen. Dieses aber kann ich nicht zu | ||||||
| 33 | bewirken hoffen, als nur durch die Übereinstimmung meines Willens mit | ||||||
| 34 | dem eines heiligen und gütigen Welturhebers; und obgleich in dem Begriffe | ||||||
| 35 | des höchsten Guts als dem eines Ganzen, worin die größte Glückseligkeit | ||||||
| 36 | mit dem größten Maße sittlicher (in Geschöpfen möglicher) Vollkommenheit | ||||||
| 37 | als in der genausten Proportion verbunden vorgestellt wird, | ||||||
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