Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 119 |
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01 | Aus dieser Auflösung der Antinomie der praktischen reinen Vernunft | ||||||
02 | folgt, daß sich in praktischen Grundsätzen eine natürliche und nothwendige | ||||||
03 | Verbindung zwischen dem Bewußtsein der Sittlichkeit und der Erwartung | ||||||
04 | einer ihr proportionirten Glückseligkeit, als Folge derselben, wenigstens | ||||||
05 | als möglich denken (darum aber freilich noch eben nicht erkennen und einsehen) | ||||||
06 | lasse; dagegen daß Grundsätze der Bewerbung um Glückseligkeit | ||||||
07 | unmöglich Sittlichkeit hervorbringen können; daß also das oberste Gut | ||||||
08 | (als die erste Bedingung des höchsten Guts) Sittlichkeit, Glückseligkeit | ||||||
09 | dagegen zwar das zweite Element desselben ausmache, doch so, daß diese | ||||||
10 | nur die moralisch bedingte, aber doch nothwendige Folge der ersteren sei. | ||||||
11 | In dieser Unterordnung allein ist das höchste Gut das ganze Object der | ||||||
12 | reinen praktischen Vernunft, die es sich nothwendig als möglich vorstellen | ||||||
13 | muß, weil es ein Gebot derselben ist, zu dessen Hervorbringung alles Mögliche | ||||||
14 | beizutragen. Weil aber die Möglichkeit einer solchen Verbindung | ||||||
15 | des Bedingten mit seiner Bedingung gänzlich zum übersinnlichen Verhältnisse | ||||||
16 | der Dinge gehört und nach Gesetzen der Sinnenwelt gar nicht | ||||||
17 | gegeben werden kann, obzwar die praktische Folge dieser Idee, nämlich | ||||||
18 | die Handlungen, die darauf abzielen, das höchste Gut wirklich zu machen, | ||||||
19 | zur Sinnenwelt gehören: so werden wir die Gründe jener Möglichkeit erstlich | ||||||
20 | in Ansehung dessen, was unmittelbar in unserer Gewalt ist, und dann | ||||||
21 | zweitens in dem, was uns Vernunft als Ergänzung unseres Unvermögens | ||||||
22 | zur Möglichkeit des höchsten Guts (nach praktischen Principien nothwendig) | ||||||
23 | darbietet und nicht in unserer Gewalt ist, darzustellen suchen. | ||||||
24 | III |
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25 | Von dem Primat der reinen praktischen Vernunft |
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26 | in ihrer Verbindung mit der speculativen. |
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27 | Unter dem Primate zwischen zwei oder mehreren durch Vernunft verbundenen | ||||||
28 | Dingen verstehe ich den Vorzug des einen, der erste Bestimmungsgrund | ||||||
29 | der Verbindung mit allen übrigen zu sein. In engerer, | ||||||
30 | praktischer Bedeutung bedeutet es den Vorzug des Interesse des einen, so | ||||||
31 | fern ihm (welches keinem andern nachgesetzt werden kann) das Interesse | ||||||
32 | der andern untergeordnet ist. Einem jeden Vermögen des Gemüths kann | ||||||
33 | man ein Interesse beilegen, d. i. ein Princip, welches die Bedingung | ||||||
34 | enthält, unter welcher allein die Ausübung desselben befördert wird. Die | ||||||
35 | Vernunft als das Vermögen der Principien bestimmt das Interesse aller | ||||||
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