Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 111 |
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01 | Ganze, das vollendete Gute, worin doch Tugend immer als Bedingung | ||||||
02 | das oberste Gut ist, weil es weiter keine Bedingung über sich hat, Glückseligkeit | ||||||
03 | immer etwas, was dem, der sie besitzt, zwar angenehm, aber nicht | ||||||
04 | für sich allein schlechterdings und in aller Rücksicht gut ist, sondern jederzeit | ||||||
05 | das moralische gesetzmäßige Verhalten als Bedingung voraussetzt. | ||||||
06 | Zwei in einem Begriffe nothwendig verbundene Bestimmungen | ||||||
07 | müssen als Grund und Folge verknüpft sein, und zwar entweder so, daß | ||||||
08 | diese Einheit als analytisch (logische Verknüpfung) oder als synthetisch | ||||||
09 | (reale Verbindung), jene nach dem Gesetze der Identität, diese der | ||||||
10 | Causalität betrachtet wird. Die Verknüpfung der Tugend mit der Glückseligkeit | ||||||
11 | kann also entweder so verstanden werden, daß die Bestrebung | ||||||
12 | tugendhaft zu sein und die vernünftige Bewerbung um Glückseligkeit nicht | ||||||
13 | zwei verschiedene, sondern ganz identische Handlungen wären, da denn | ||||||
14 | der ersteren keine andere Maxime, als zu der letztern zum Grunde gelegt | ||||||
15 | zu werden brauchte: oder jene Verknüpfung wird darauf ausgesetzt, daß | ||||||
16 | Tugend die Glückseligkeit als etwas von dem Bewußtsein der ersteren | ||||||
17 | Unterschiedenes, wie die Ursache eine Wirkung, hervorbringe. | ||||||
18 | Von den alten griechischen Schulen waren eigentlich nur zwei, die in | ||||||
19 | Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gute so fern zwar einerlei Methode | ||||||
20 | befolgten, daß sie Tugend und Glückseligkeit nicht als zwei verschiedene | ||||||
21 | Elemente des höchsten Guts gelten ließen, mithin die Einheit des | ||||||
22 | Princips nach der Regel der Identität suchten; aber darin schieden sie sich | ||||||
23 | wiederum, daß sie unter beiden den Grundbegriff verschiedentlich wählten. | ||||||
24 | Der Epikureer sagte: sich seiner auf Glückseligkeit führenden Maxime | ||||||
25 | bewußt sein, das ist Tugend; der Stoiker: sich seiner Tugend bewußt | ||||||
26 | sein, ist Glückseligkeit. Dem erstern war Klugheit so viel als Sittlichkeit; | ||||||
27 | dem zweiten, der eine höhere Benennung für die Tugend wählte, war | ||||||
28 | Sittlichkeit allein wahre Weisheit. | ||||||
29 | Man muß bedauren, daß die Scharfsinnigkeit dieser Männer (die | ||||||
30 | man doch zugleich darüber bewundern muß, daß sie in so frühen Zeiten | ||||||
31 | schon alle erdenkliche Wege philosophischer Eroberungen versuchten) unglücklich | ||||||
32 | angewandt war, zwischen äußerst ungleichartigen Begriffen, dem | ||||||
33 | der Glückseligkeit und dem der Tugend, Identität zu ergrübeln. Allein es | ||||||
34 | war dem dialektischen Geiste ihrer Zeiten angemessen, was auch jetzt bisweilen | ||||||
35 | subtile Köpfe verleitet, wesentliche und nie zu vereinigende Unterschiede | ||||||
36 | in Principien dadurch aufzuheben, daß man sie in Wortstreit zu | ||||||
37 | verwandeln sucht und so dem Scheine nach Einheit des Begriffs blos unter | ||||||
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