Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 110 |
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01 | desselben zugleich der Bestimmungsgrund des reinen Willens | ||||||
02 | sei: weil alsdann in der That das in diesem Begriffe schon eingeschlossene | ||||||
03 | und mitgedachte moralische Gesetz und kein anderer Gegenstand nach dem | ||||||
04 | Princip der Autonomie den Willen bestimmt. Diese Ordnung der Begriffe | ||||||
05 | von der Willensbestimmung darf nicht aus den Augen gelassen | ||||||
06 | werden: weil man sonst sich selbst mißversteht und sich zu widersprechen | ||||||
07 | glaubt, wo doch alles in der vollkommensten Harmonie neben einander | ||||||
08 | steht. | ||||||
09 | Zweites Hauptstück. |
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10 | Von der Dialektik der reinen Vernunft in Bestimmung des |
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11 | Begriffs vom höchsten Gut. |
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12 | Der Begriff des Höchsten enthält schon eine Zweideutigkeit, die, | ||||||
13 | wenn man darauf nicht Acht hat, unnöthige Streitigkeiten veranlassen | ||||||
14 | kann. Das Höchste kann das Oberste ( supremum ) oder auch das Vollendete | ||||||
15 | ( consummatum ) bedeuten. Das erstere ist diejenige Bedingung, | ||||||
16 | die selbst unbedingt, d. i. keiner andern untergeordnet, ist ( originarium ); | ||||||
17 | das zweite dasjenige Ganze, das kein Theil eines noch größeren Ganzen | ||||||
18 | von derselben Art ist ( perfectissimum ). Daß Tugend (als die Würdigkeit | ||||||
19 | glücklich zu sein) die oberste Bedingung alles dessen, was uns nur | ||||||
20 | wünschenswerth scheinen mag, mithin auch aller unserer Bewerbung um | ||||||
21 | Glückseligkeit, mithin das oberste Gut sei, ist in der Analytik bewiesen | ||||||
22 | worden. Darum ist sie aber noch nicht das ganze und vollendete Gut, | ||||||
23 | als Gegenstand des Begehrungsvermögens vernünftiger endlicher Wesen; | ||||||
24 | denn um das zu sein, wird auch Glückseligkeit dazu erfordert und zwar | ||||||
25 | nicht blos in den parteiischen Augen der Person, die sich selbst zum Zwecke | ||||||
26 | macht, sondern selbst im Urtheile einer unparteiischen Vernunft, die jene | ||||||
27 | überhaupt in der Welt als Zweck an sich betrachtet. Denn der Glückseligkeit | ||||||
28 | bedürftig, ihrer auch würdig, dennoch aber derselben nicht theilhaftig | ||||||
29 | zu sein, kann mit dem vollkommenen Wollen eines vernünftigen Wesens, | ||||||
30 | welches zugleich alle Gewalt hätte, wenn wir uns auch nur ein solches zum | ||||||
31 | Versuche denken, gar nicht zusammen bestehen. So fern nun Tugend und | ||||||
32 | Glückseligkeit zusammen den Besitz des höchsten Guts in einer Person, | ||||||
33 | hiebei aber auch Glückseligkeit, ganz genau in Proportion der Sittlichkeit | ||||||
34 | (als Werth der Person und deren Würdigkeit glücklich zu sein) ausgetheilt, | ||||||
35 | das höchste Gut einer möglichen Welt ausmachen: so bedeutet dieses das | ||||||
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