Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 099 |
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01 | in ihrem synkretistischen System mit einschließen), aber als Schmerz doch | ||||||
02 | ganz rechtmäßig ist, weil die Vernunft, wenn es auf das Gesetz unserer | ||||||
03 | intelligibelen Existenz (das moralische) ankommt, keinen Zeitunterschied | ||||||
04 | anerkennt und nur frägt, ob die Begebenheit mir als That angehöre, alsdann | ||||||
05 | aber immer dieselbe Empfindung damit moralisch verknüpft, sie mag | ||||||
06 | jetzt geschehen oder vorlängst geschehen sein. Denn das Sinnenleben | ||||||
07 | hat in Ansehung des intelligibelen Bewußtseins seines Daseins (der | ||||||
08 | Freiheit) absolute Einheit eines Phänomens, welches, so fern es blos Erscheinungen | ||||||
09 | von der Gesinnung, die das moralische Gesetz angeht, (von | ||||||
10 | dem Charakter) enthält, nicht nach der Naturnothwendigkeit, die ihm als | ||||||
11 | Erscheinung zukommt, sondern nach der absoluten Spontaneität der Freiheit | ||||||
12 | beurtheilt werden muß. Man kann also einräumen, daß, wenn es | ||||||
13 | für uns möglich wäre, in eines Menschen Denkungsart, so wie sie sich durch | ||||||
14 | innere sowohl als äußere Handlungen zeigt, so tiefe Einsicht zu haben, | ||||||
15 | daß jede, auch die mindeste Triebfeder dazu uns bekannt würde, imgleichen | ||||||
16 | alle auf diese wirkende äußere Veranlassungen, man eines Menschen Verhalten | ||||||
17 | auf die Zukunft mit Gewißheit, so wie eine Mond= oder Sonnenfinsterni | ||||||
18 | ausrechnen könnte und dennoch dabei behaupten, daß der Mensch | ||||||
19 | frei sei. Wenn wir nämlich noch eines andern Blicks (der uns aber freilich | ||||||
20 | gar nicht verliehen ist, sondern an dessen Statt wir nur den Vernunftbegriff | ||||||
21 | haben), nämlich einer intellectuellen Anschauung desselben Subjects, | ||||||
22 | fähig wären, so würden wir doch inne werden, daß diese ganze Kette von | ||||||
23 | Erscheinungen in Ansehung dessen, was nur immer das moralische Gesetz | ||||||
24 | angehen kann, von der Spontaneität des Subjects als Dinges an sich | ||||||
25 | selbst abhängt, von deren Bestimmung sich gar keine physische Erklärung | ||||||
26 | geben läßt. In Ermangelung dieser Anschauung versichert uns das moralische | ||||||
27 | Gesetz diesen Unterschied der Beziehung unserer Handlungen als | ||||||
28 | Erscheinungen auf das Sinnenwesen unseres Subjects von derjenigen, | ||||||
29 | dadurch dieses Sinnenwesen selbst auf das intelligibele Substrat in uns | ||||||
30 | bezogen wird. - In dieser Rücksicht, die unserer Vernunft natürlich, obgleich | ||||||
31 | unerklärlich ist, lassen sich auch Beurtheilungen rechtfertigen, die, | ||||||
32 | mit aller Gewissenhaftigkeit gefällt, dennoch dem ersten Anscheine nach | ||||||
33 | aller Billigkeit ganz zu widerstreiten scheinen. Es giebt Fälle, wo Menschen | ||||||
34 | von Kindheit auf, selbst unter einer Erziehung, die mit der ihrigen | ||||||
35 | zugleich andern ersprießlich war, dennoch so frühe Bosheit zeigen und so | ||||||
36 | bis in ihre Mannesjahre zu steigen fortfahren, daß man sie für geborne | ||||||
37 | Bösewichter und gänzlich, was die Denkungsart betrifft, für unbesserlich | ||||||
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