Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 098 |
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01 | jede dem innern Sinne gemäß wechselnde Bestimmung seines Daseins, | ||||||
02 | selbst die ganze Reihenfolge seiner Existenz als Sinnenwesen ist | ||||||
03 | im Bewußtsein seiner intelligibelen Existenz nichts als Folge, niemals | ||||||
04 | aber als Bestimmungsgrund seiner Causalität, als Noumens, anzusehen. | ||||||
05 | In diesem Betracht nun kann das vernünftige Wesen von einer | ||||||
06 | jeden gesetzwidrigen Handlung, die es verübt, ob sie gleich als Erscheinung | ||||||
07 | in dem Vergangenen hinreichend bestimmt und so fern unausbleiblich | ||||||
08 | nothwendig ist, mit Recht sagen, daß er sie hätte unterlassen können; | ||||||
09 | denn sie mit allem Vergangenen, das sie bestimmt, gehört zu einem einzigen | ||||||
10 | Phänomen seines Charakters, den er sich selbst verschafft, und nach | ||||||
11 | welchem er sich als einer von aller Sinnlichkeit unabhängigen Ursache die | ||||||
12 | Causalität jener Erscheinungen selbst zurechnet. | ||||||
13 | Hiemit Stimmen auch die Richteraussprüche desjenigen wundersamen | ||||||
14 | Vermögens in uns, welches wir Gewissen nennen, vollkommen überein. | ||||||
15 | Ein Mensch mag künsteln, so viel als er will, um ein gesetzwidriges Betragen, | ||||||
16 | dessen er sich erinnert, sich als unvorsetzliches Versehen, als bloße | ||||||
17 | Unbehutsamkeit, die man niemals gänzlich vermeiden kann, folglich als | ||||||
18 | etwas, worin er vom Strom der Naturnothwendigkeit fortgerissen wäre, | ||||||
19 | vorzumalen und sich darüber für schuldfrei zu erklären, so findet er doch, | ||||||
20 | daß der Advocat, der zu seinem Vortheil spricht, den Ankläger in ihm | ||||||
21 | keinesweges zum Verstummen bringen könne, wenn er sich bewußt ist, daß | ||||||
22 | er zu der Zeit, als er das Unrecht verübte, nur bei Sinnen, d. i. im Gebrauche | ||||||
23 | seiner Freiheit, war, und gleichwohl erklärt er sich sein Vergehen | ||||||
24 | aus gewisser übeln, durch allmählige Vernachlässigung der Achtsamkeit | ||||||
25 | auf sich selbst zugezogener Gewohnheit bis auf den Grad, daß er es als | ||||||
26 | eine natürliche Folge derselben ansehen kann, ohne daß dieses ihn gleichwohl | ||||||
27 | wider den Selbsttadel und den Verweis sichern kann, den er sich selbst | ||||||
28 | macht. Darauf gründet sich denn auch die Reue über eine längst begangene | ||||||
29 | That bei jeder Erinnerung derselben; eine schmerzhafte, durch moralische | ||||||
30 | Gesinnung gewirkte Empfindung, die so fern praktisch leer ist, als | ||||||
31 | sie nicht dazu dienen kann, das Geschehene ungeschehen zu machen, und | ||||||
32 | sogar ungereimt sein würde (wie Priestley als ein ächter, consequent | ||||||
33 | verfahrender Fatalist sie auch dafür erklärt, und in Ansehung welcher | ||||||
34 | Offenherzigkeit er mehr Beifall verdient als diejenige, welche, indem sie | ||||||
35 | den Mechanism des Willens in der That, die Freiheit desselben aber mit | ||||||
36 | Worten behaupten, noch immer dafür gehalten sein wollen, daß sie jene, | ||||||
37 | ohne doch die Möglichkeit einer solchen Zurechnung begreiflich zu machen, | ||||||
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