Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 095 |
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| 01 | so daß die Bestimmungsgründe meiner Causalität, sogar meiner | ||||||
| 02 | ganzen Existenz, gar nicht außer mir wären: so würde dieses jene Naturnothwendigkeit | ||||||
| 03 | doch nicht im mindesten in Freiheit verwandeln. Denn | ||||||
| 04 | in jedem Zeitpunkte stehe ich doch immer unter der Nothwendigkeit, durch | ||||||
| 05 | das zum Handeln bestimmt zu sein, was nicht in meiner Gewalt ist, | ||||||
| 06 | und die a parte priori unendliche Reihe der Begebenheiten, die ich immer | ||||||
| 07 | nur nach einer schon vorherbestimmten Ordnung fortsetzen, nirgend von | ||||||
| 08 | selbst anfangen würde, wäre eine stetige Naturkette, meine Causalität also | ||||||
| 09 | niemals Freiheit. | ||||||
| 10 | Will man also einem Wesen, dessen Dasein in der Zeit bestimmt ist, | ||||||
| 11 | Freiheit beilegen, so kann man es so fern wenigstens vom Gesetze der | ||||||
| 12 | Naturnothwendigkeit aller Begebenheiten in seiner Existenz, mithin auch | ||||||
| 13 | seiner Handlungen nicht ausnehmen; denn das wäre so viel, als es dem | ||||||
| 14 | Blinden ungefähr übergeben. Da dieses Gesetz aber unvermeidlich alle | ||||||
| 15 | Causalität der Dinge, so fern ihr Dasein in der Zeit bestimmbar ist, | ||||||
| 16 | betrifft, so würde, wenn dieses die Art wäre, wornach man sich auch das | ||||||
| 17 | Dasein dieser Dinge an sich selbst vorzustellen hätte, die Freiheit | ||||||
| 18 | als ein nichtiger und unmöglicher Begriff verworfen werden müssen. Folglich | ||||||
| 19 | wenn man sie noch retten will, so bleibt kein Weg übrig, als das Dasein | ||||||
| 20 | eines Dinges, so fern es in der Zeit bestimmbar ist, folglich auch die | ||||||
| 21 | Causalität nach dem Gesetze der Naturnothwendigkeit blos der Erscheinung, | ||||||
| 22 | die Freiheit aber eben demselben Wesen als Dinge | ||||||
| 23 | an sich selbst beizulegen. So ist es allerdings unvermeidlich, wenn man | ||||||
| 24 | beide einander widerwärtige Begriffe zugleich erhalten will; allein in der | ||||||
| 25 | Anwendung, wenn man sie als in einer und derselben Handlung vereinigt | ||||||
| 26 | und also diese Vereinigung selbst erklären will, thun sich doch große | ||||||
| 27 | Schwierigkeiten hervor, die eine solche Vereinigung unthunlich zu machen | ||||||
| 28 | scheinen. | ||||||
| 29 | Wenn ich von einem Menschen, der einen Diebstahl verübt, sage, | ||||||
| 30 | diese That sei nach dem Naturgesetze der Causalität aus den Bestimmungsgründen | ||||||
| 31 | der vorhergehenden Zeit ein nothwendiger Erfolg, so war | ||||||
| 32 | es unmöglich, daß sie hat unterbleiben können: wie kann denn die Beurtheilung | ||||||
| 33 | nach dem moralischen Gesetze hierin eine Änderung machen und | ||||||
| 34 | voraussetzen, daß sie doch habe unterlassen werden können, weil das Gesetz | ||||||
| 35 | sagt, sie hätte unterlassen werden sollen, d. i. wie kann derjenige in | ||||||
| 36 | demselben Zeitpunkte in Absicht auf dieselbe Handlung ganz frei heißen, | ||||||
| 37 | in welchem, und in derselben Absicht, er doch unter einer unvermeidlichen | ||||||
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