Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 086 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | sie verbietet den subjectiven Bestimmungsgrund pflichtmäßiger Handlungen, | ||||||
| 02 | d. i. die moralische Triebfeder derselben, irgend worin anders als im | ||||||
| 03 | Gesetze selbst und die Gesinnung, die dadurch in die Maximen gebracht | ||||||
| 04 | wird, irgend anderwärts als in der Achtung für dies Gesetz zu setzen, mithin | ||||||
| 05 | den alle Arroganz sowohl als eitele Philautie niederschlagenden | ||||||
| 06 | Gedanken von Pflicht zum obersten Lebensprincip aller Moralität im | ||||||
| 07 | Menschen zu machen gebietet. | ||||||
| 08 | Wenn dem also ist, so haben nicht allein Romanschreiber, oder empfindelnde | ||||||
| 09 | Erzieher (ob sie gleich noch so sehr wider Empfindelei eifern), | ||||||
| 10 | sondern bisweilen selbst Philosophen, ja die strengsten unter allen, die | ||||||
| 11 | Stoiker, moralische Schwärmerei statt nüchterner, aber weiser Disciplin | ||||||
| 12 | der Sitten eingeführt, wenn gleich die Schwärmerei der letzteren mehr | ||||||
| 13 | heroisch, der ersteren von schaler und schmelzender Beschaffenheit war, und | ||||||
| 14 | man kann es, ohne zu heucheln, der moralischen Lehre des Evangelii mit | ||||||
| 15 | aller Wahrheit nachsagen: daß es zuerst durch die Reinigkeit des moralischen | ||||||
| 16 | Princips, zugleich aber durch die Angemessenheit desselben mit den | ||||||
| 17 | Schranken endlicher Wesen alles Wohlverhalten des Menschen der Zucht | ||||||
| 18 | einer ihnen vor Augen gelegten Pflicht, die sie nicht unter moralischen geträumten | ||||||
| 19 | Vollkommenheiten schwärmen läßt, unterworfen und dem Eigendünkel | ||||||
| 20 | sowohl als der Eigenliebe, die beide gerne ihre Grenzen verkennen, | ||||||
| 21 | Schranken der Demuth (d. i. der Selbsterkenntniß) gesetzt habe. | ||||||
| 22 | Pflicht! Du erhabener, großer Name, der du nichts Beliebtes, was | ||||||
| 23 | Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, | ||||||
| 24 | doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung im Gemüthe | ||||||
| 25 | erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen, sondern blos ein Gesetz | ||||||
| 26 | aufstellst, welches von selbst im Gemüthe Eingang findet und doch sich | ||||||
| 27 | selbst wider Willen Verehrung (wenn gleich nicht immer Befolgung) erwirbt, | ||||||
| 28 | vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich ingeheim ihm | ||||||
| 29 | entgegen wirken: welches ist der deiner würdige Ursprung, und wo findet | ||||||
| 30 | man die Wurzel deiner edlen Abkunft, welche alle Verwandtschaft mit | ||||||
| 31 | Neigungen stolz ausschlägt, und von welcher Wurzel abzustammen, die | ||||||
| 32 | unnachlaßliche Bedingung desjenigen Werths ist, den sich Menschen allein | ||||||
| 33 | selbst geben können? | ||||||
| 34 | Es kann nichts Minderes sein, als was den Menschen über sich selbst | ||||||
| 35 | (als einen Theil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der | ||||||
| 36 | Dinge knüpft, die nur der Verstand denken kann, und die zugleich die | ||||||
| 37 | ganze Sinnenwelt, mit ihr das empirisch bestimmbare Dasein des Menschen | ||||||
| [ Seite 085 ] [ Seite 087 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||