Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 073 |
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| 01 | Gefühl gegründet, und die negative Wirkung aufs Gefühl (durch den Abbruch, | ||||||
| 02 | der den Neigungen geschieht) ist selbst Gefühl. Folglich können wir | ||||||
| 03 | a priori einsehen, daß das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund des | ||||||
| 04 | Willens dadurch, daß es allen unseren Neigungen Eintrag thut, ein Gefühl | ||||||
| 05 | bewirken müsse, welches Schmerz genannt werden kann, und hier | ||||||
| 06 | haben wir nun den ersten, vielleicht auch einzigen Fall, da wir aus Begriffen | ||||||
| 07 | a priori das Verhältniß eines Erkenntnisses (hier ist es einer reinen | ||||||
| 08 | praktischen Vernunft) zum Gefühl der Lust oder Unlust bestimmen konnten. | ||||||
| 09 | Alle Neigungen zusammen (die auch wohl in ein erträgliches System gebracht | ||||||
| 10 | werden können, und deren Befriedigung alsdann eigene Glückseligkeit | ||||||
| 11 | heißt) machen die Selbstsucht ( solipsismus ) aus. Diese ist entweder | ||||||
| 12 | die der Selbstliebe, eines über alles gehenden Wohlwollens gegen | ||||||
| 13 | sich selbst ( Philautia ), oder die des Wohlgefallens an sich selbst ( Arrogantia ). | ||||||
| 14 | Jene heißt besonders Eigenliebe, diese Eigendünkel. Die | ||||||
| 15 | reine praktische Vernunft thut der Eigenliebe blos Abbruch, indem sie | ||||||
| 16 | solche, als natürlich und noch vor dem moralischen Gesetze in uns rege, nur | ||||||
| 17 | auf die Bedingung der Einstimmung mit diesem Gesetze einschränkt; da | ||||||
| 18 | sie alsdann vernünftige Selbstliebe genannt wird. Aber den Eigendünkel | ||||||
| 19 | schlägt sie gar nieder, indem alle Ansprüche der Selbstschätzung, | ||||||
| 20 | die vor der Übereinstimmung mit dem sittlichen Gesetze vorhergehen, nichtig | ||||||
| 21 | und ohne alle Befugniß sind, indem eben die Gewißheit einer Gesinnung, | ||||||
| 22 | die mit diesem Gesetze übereinstimmt, die erste Bedingung alles Werths | ||||||
| 23 | der Person ist (wie wir bald deutlicher machen werden) und alle Anmaßung | ||||||
| 24 | vor derselben falsch und gesetzwidrig ist. Nun gehört der Hang zur Selbstschätzung | ||||||
| 25 | mit zu den Neigungen, denen das moralische Gesetz Abbruch thut, | ||||||
| 26 | so fern jene blos auf der Sinnlichkeit beruht. Also schlägt das moralische | ||||||
| 27 | Gesetz den Eigendünkel nieder. Da dieses Gesetz aber doch etwas an sich | ||||||
| 28 | Positives ist, nämlich die Form einer intellectuellen Causalität, d. i. der | ||||||
| 29 | Freiheit, so ist es, indem es im Gegensatze mit dem subjectiven Widerspiele, | ||||||
| 30 | nämlich den Neigungen in uns, den Eigendünkel schwächt, zugleich ein | ||||||
| 31 | Gegenstand der Achtung und, indem es ihn sogar niederschlägt, d. i. | ||||||
| 32 | demüthigt, ein Gegenstand der größten Achtung, mithin auch der Grund | ||||||
| 33 | eines positiven Gefühls, das nicht empirischen Ursprungs ist und a priori | ||||||
| 34 | erkannt wird. Also ist Achtung fürs moralische Gesetz ein Gefühl, welches | ||||||
| 35 | durch einen intellectuellen Grund gewirkt wird, und dieses Gefühl ist das | ||||||
| 36 | einzige, welches wir völlig a priori erkennen, und dessen Nothwendigkeit | ||||||
| 37 | wir einsehen können. | ||||||
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