Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 072

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 nun unter Triebfeder ( elater animi ) der subjective Bestimmungsgrund      
  02 des Willens eines Wesens verstanden wird, dessen Vernunft nicht schon      
  03 vermöge seiner Natur dem objectiven Gesetze nothwendig gemäß ist, so wird      
  04 erstlich daraus folgen: daß man dem göttlichen Willen gar keine Triebfedern      
  05 beilegen könne, die Triebfeder des menschlichen Willens aber (und      
  06 des von jedem erschaffenen vernünftigen Wesen) niemals etwas anderes      
  07 als das moralische Gesetz sein könne, mithin der objective Bestimmungsgrund      
  08 jederzeit und ganz allein zugleich der subjectiv hinreichende Bestimmungsgrund      
  09 der Handlung sein müsse, wenn diese nicht blos den      
  10 Buchstaben des Gesetzes, ohne den Geist*) desselben zu enthalten, erfüllen      
  11 soll.      
           
  12 Da man also zum Behuf des moralischen Gesetzes, und um ihm Einfluß      
  13 auf den Willen zu verschaffen, keine anderweitige Triebfeder, dabei die      
  14 des moralischen Gesetzes entbehrt werden könnte, suchen muß, weil das alles      
  15 lauter Gleißnerei ohne Bestand bewirken würde, und sogar es bedenklich      
  16 ist, auch nur neben dem moralischen Gesetze noch einige andere Triebfedern      
  17 (als die des Vortheils) mitwirken zu lassen: so bleibt nichts übrig,      
  18 als blos sorgfältig zu bestimmen, auf welche Art das moralische Gesetz      
  19 Triebfeder werde, und was, indem sie es ist, mit dem menschlichen Begehrungsvermögen      
  20 als Wirkung jenes Bestimmungsgrundes auf dasselbe      
  21 vorgehe. Denn wie ein Gesetz für sich und unmittelbar Bestimmungsgrund      
  22 des Willens sein könne (welches doch das Wesentliche aller Moralität ist),      
  23 das ist ein für die menschliche Vernunft unauflösliches Problem und mit      
  24 dem einerlei: wie ein freier Wille möglich sei. Also werden wir nicht den      
  25 Grund, woher das moralische Gesetz in sich eine Triebfeder abgebe, sondern      
  26 was, so fern es eine solche ist, sie im Gemüthe wirkt (besser zu sagen, wirken      
  27 muß), a priori anzuzeigen haben.      
           
  28 Das Wesentliche aller Bestimmung des Willens durchs sittliche Gesetz      
  29 ist: daß er als freier Wille, mithin nicht blos ohne Mitwirkung sinnlicher      
  30 Antriebe, sondern selbst mit Abweisung aller derselben und mit Abbruch      
  31 aller Neigungen, so fern sie jenem Gesetze zuwider sein könnten, blos durchs      
  32 Gesetz bestimmt werde. So weit ist also die Wirkung des moralischen Gesetzes      
  33 als Triebfeder nur negativ, und als solche kann diese Triebfeder a priori      
  34 erkannt werden. Denn alle Neigung und jeder sinnliche Antrieb ist auf      
           
    *)Man kann von jeder gesetzmäßigen Handlung, die doch nicht um des Gesetzes willen geschehen ist, sagen: sie sei blos dem Buchstaben, aber nicht dem Geiste (der Gesinnung) nach moralisch gut.      
           
     

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