Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 071 |
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01 | d. i. wirkliche und doch nicht sinnliche Anschauungen (eines unsichtbaren | ||||||
02 | Reichs Gottes) der Anwendung der moralischen Begriffe unterlegt und ins | ||||||
03 | Überschwengliche hinausschweift. Dem Gebrauche der moralischen Begriffe | ||||||
04 | ist blos der Rationalism der Urtheilskraft angemessen, der von der | ||||||
05 | sinnlichen Natur nichts weiter nimmt, als was auch reine Vernunft für | ||||||
06 | sich denken kann, d. i. die Gesetzmäßigkeit, und in die übersinnliche nichts | ||||||
07 | hineinträgt, als was umgekehrt sich durch Handlungen in der Sinnenwelt | ||||||
08 | nach der formalen Regel eines Naturgesetzes überhaupt wirklich darstellen | ||||||
09 | läßt. Indessen ist die Verwahrung vor dem Empirism der praktischen | ||||||
10 | Vernunft viel wichtiger und anrathungswürdiger, weil der Mysticism | ||||||
11 | sich doch noch mit der Reinigkeit und Erhabenheit des moralischen Gesetzes | ||||||
12 | zusammen verträgt und außerdem es nicht eben natürlich und der gemeinen | ||||||
13 | Denkungsart angemessen ist, seine Einbildungskraft bis zu übersinnlichen | ||||||
14 | Anschauungen anzuspannen, mithin auf dieser Seite die Gefahr nicht so | ||||||
15 | allgemein ist; da hingegen der Empirism die Sittlichkeit in Gesinnungen | ||||||
16 | (worin doch, und nicht blos in Handlungen, der hohe Werth besteht, den | ||||||
17 | sich die Menschheit durch sie verschaffen kann und soll) mit der Wurzel ausrottet | ||||||
18 | und ihr ganz etwas anderes, nämlich ein empirisches Interesse, womit | ||||||
19 | die Neigungen überhaupt unter sich Verkehr treiben, statt der Pflicht | ||||||
20 | unterschiebt, überdem auch eben darum mit allen Neigungen, die (sie mögen | ||||||
21 | einen Zuschnitt bekommen, welchen sie wollen), wenn sie zur Würde eines | ||||||
22 | obersten praktischen Princips erhoben werden, die Menschheit degradiren, | ||||||
23 | und da sie gleichwohl der Sinnesart aller so günstig sind, aus der Ursache | ||||||
24 | weit gefährlicher ist als alle Schwärmerei, die niemals einen daurenden | ||||||
25 | Zustand vieler Menschen ausmachen kann. | ||||||
26 | Drittes Hauptstück. |
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27 | Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft. |
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28 | Das Wesentliche alles sittlichen Werths der Handlungen kommt darauf | ||||||
29 | an, daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme. | ||||||
30 | Geschieht die Willensbestimmung zwar gemäß dem moralischen | ||||||
31 | Gesetze, aber nur vermittelst eines Gefühls, welcher Art es auch sei, das | ||||||
32 | vorausgesetzt werden muß, damit jenes ein hinreichender Bestimmungsgrund | ||||||
33 | des Willens werde, mithin nicht um des Gesetzes willen: so wird | ||||||
34 | die Handlung zwar Legalität, aber nicht Moralität enthalten. Wenn | ||||||
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