Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 047 |
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| 01 | oder Grundvermögen gelangt sind; denn deren Möglichkeit kann | ||||||
| 02 | durch nichts begriffen, darf aber auch eben so wenig beliebig erdichtet und | ||||||
| 03 | angenommen werden. Daher kann uns im theoretischen Gebrauche der | ||||||
| 04 | Vernunft nur Erfahrung dazu berechtigen, sie anzunehmen. Dieses Surrogat, | ||||||
| 05 | statt einer Deduction aus Erkenntnißquellen a priori empirische | ||||||
| 06 | Beweise anzuführen, ist uns hier aber in Ansehung des reinen praktischen | ||||||
| 07 | Vernunftvermögens auch benommen. Denn was den Beweisgrund seiner | ||||||
| 08 | Wirklichkeit von der Erfahrung herzuholen bedarf, muß den Gründen seiner | ||||||
| 09 | Möglichkeit nach von Erfahrungsprincipien abhängig sein, für dergleichen | ||||||
| 10 | aber reine und doch praktische Vernunft schon ihres Begriffs | ||||||
| 11 | wegen unmöglich gehalten werden kann. Auch ist das moralische Gesetz | ||||||
| 12 | gleichsam als ein Factum der reinen Vernunft, dessen wir uns a priori | ||||||
| 13 | bewußt sind und welches apodiktisch gewiß ist, gegeben, gesetzt daß man | ||||||
| 14 | auch in der Erfahrung kein Beispiel, da es genau befolgt wäre, auftreiben | ||||||
| 15 | könnte. Also kann die objective Realität des moralischen Gesetzes durch | ||||||
| 16 | keine Deduction, durch alle Anstrengung der theoretischen, speculativen | ||||||
| 17 | oder empirisch unterstützten Vernunft, bewiesen und also, wenn man auch | ||||||
| 18 | auf die apodiktische Gewißheit Verzicht thun wollte, durch Erfahrung bestätigt | ||||||
| 19 | und so a posteriori bewiesen werden, und steht dennoch für sich | ||||||
| 20 | selbst fest. | ||||||
| 21 | Etwas anderes aber und ganz Widersinnisches tritt an die Stelle | ||||||
| 22 | dieser vergeblich gesuchten Deduction des moralischen Princips, nämlich | ||||||
| 23 | daß es umgekehrt selbst zum Princip der Deduction eines unerforschlichen | ||||||
| 24 | Vermögens dient, welches keine Erfahrung beweisen, die speculative Vernunft | ||||||
| 25 | aber (um umter ihren kosmologischen Ideen das Unbedingte seiner | ||||||
| 26 | Causalität nach zu finden, damit sie sich selbst nicht widerspreche) wenigstens | ||||||
| 27 | als möglich annehmen mußte, nämlich das der Freiheit, von der das | ||||||
| 28 | moralische Gesetz, welches selbst keiner rechtfertigenden Gründe bedarf, | ||||||
| 29 | nicht blos die Möglichkeit, sondern die Wirklichkeit an Wesen beweiset, die | ||||||
| 30 | dies Gesetz als für sie verbindend erkennen. Das moralische Gesetz ist in | ||||||
| 31 | der That ein Gesetz der Causalität durch Freiheit und also der Möglichkeit | ||||||
| 32 | einer übersinnlichen Natur, so wie das metaphysische Gesetz der Begebenheiten | ||||||
| 33 | in der Sinnenwelt ein Gesetz der Causalität der sinnlichen | ||||||
| 34 | Natur war, und jenes bestimmt also das, was speculative Philosophie | ||||||
| 35 | unbestimmt lassen mußte, nämlich das Gesetz für eine Causalität, deren | ||||||
| 36 | Begriff in der letzteren nur negativ war, und verschafft diesem also zuerst | ||||||
| 37 | objective Realität. | ||||||
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