Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 029 |
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| 01 | weil bei diesen die bestimmenden Gründe selbst Erscheinungen sein müssen. | ||||||
| 02 | Wenn aber auch kein anderer Bestimmungsgrund des Willens für diesen | ||||||
| 03 | zum Gesetz dienen kann, als blos jene allgemeine gesetzgebende Form: so | ||||||
| 04 | muß ein solcher Wille als gänzlich unabhängig von dem Naturgesetz der | ||||||
| 05 | Erscheinungen, nämlich dem Gesetze der Causalität, beziehungsweise auf | ||||||
| 06 | einander gedacht werden. Eine solche Unabhängigkeit aber heißt Freiheit | ||||||
| 07 | im strengsten, d. i. transscendentalen, Verstande. Also ist ein Wille, | ||||||
| 08 | dem die bloße gesetzgebende Form der Maxime allein zum Gesetze dienen | ||||||
| 09 | kann, ein freier Wille. | ||||||
| 10 | § 6. |
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| 11 | Aufgabe II |
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| 12 | Vorausgesetzt, daß ein Wille frei sei, das Gesetz zu finden, welches | ||||||
| 13 | ihn allein nothwendig zu bestimmen tauglich ist. | ||||||
| 14 | Da die Materie des praktischen Gesetzes, d. i. ein Object der Maxime, | ||||||
| 15 | niemals anders als empirisch gegeben werden kann, der freie Wille aber, | ||||||
| 16 | als von empirischen (d. i. zur Sinnenwelt gehörigen) Bedingungen unabhängig, | ||||||
| 17 | dennoch bestimmbar sein muß: so muß ein freier Wille, unabhängig | ||||||
| 18 | von der Materie des Gesetzes, dennoch einen Bestimmungsgrund | ||||||
| 19 | in dem Gesetze antreffen. Es ist aber außer der Materie des Gesetzes | ||||||
| 20 | nichts weiter in demselben als die gesetzgebende Form enthalten. Also ist | ||||||
| 21 | die gesetzgebende Form, so fern sie in der Maxime enthalten ist, das einzige, | ||||||
| 22 | was einen Bestimmungsgrund des Willens ausmachen kann. | ||||||
| 23 | Anmerkung. |
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| 24 | Freiheit und unbedingtes praktisches Gesetz weisen also wechselweise auf einander | ||||||
| 25 | zurück. Ich frage hier nun nicht: ob sie auch in der That verschieden seien, und | ||||||
| 26 | nicht vielmehr ein unbedingtes Gesetz blos das Selbstbewußtsein einer reinen praktischen | ||||||
| 27 | Vernunft, diese aber ganz einerlei mit dem positiven Begriffe der Freiheit | ||||||
| 28 | sei; sondern wovon unsere Erkenntniß des unbedingt Praktischen anhebe, ob | ||||||
| 29 | von der Freiheit, oder dem praktischen Gesetze. Von der Freiheit kann es /: nicht anheben; | ||||||
| 30 | denn deren können wir uns weder unmittelbar bewußt werden, weil ihr | ||||||
| 31 | erster Begriff negativ ist, noch darauf aus der Erfahrung schließen, denn Erfahrung | ||||||
| 32 | giebt uns nur das Gesetz der Erscheinungen , mithin den Mechanism der Natur, | ||||||
| 33 | das gerade Widerspiel der Freiheit, zu erkennen. Also ist es das moralische | ||||||
| 34 | Gesetz, dessen wir uns unmittelbar bewußt werden (so bald wir uns Maximen des | ||||||
| 35 | Willens entwerfen), welches sich uns zuerst darbietet und, indem die Vernunft | ||||||
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