Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 028

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Bestimmungsgrund desselben anführen; denn diese, weit gefehlt daß sie      
  02 zu einer allgemeinen Gesetzgebung tauglich sein sollte, so muß sie vielmehr in der      
  03 Form eines allgemeinen Gesetzes sich selbst aufreiben.      
           
  04 Es ist daher wunderlich, wie, da die Begierde zur Glückseligkeit, mithin auch      
  05 die Maxime, dadurch sich jeder diese letztere zum Bestimmungsgrunde seines      
  06 Willens setzt, allgemein ist, es verständigen Männern habe in den Sinn kommen      
  07 können, es darum für ein allgemein praktisches Gesetz auszugeben. Denn da      
  08 sonst ein allgemeines Naturgesetz alles einstimmig macht, so würde hier, wenn man      
  10 der Maxime die Allgemeinheit eines Gesetzes geben wollte, grade das äußerste      
  11 Widerspiel der Einstimmung, der ärgste Widerstreit und die gänzliche Vernichtung      
  12 der Maxime selbst und ihrer Absicht erfolgen. Denn der Wille Aller hat alsdann      
  13 nicht ein und dasselbe Object, sondern ein jeder hat das seinige (sein eigenes Wohlbefinden),      
  14 welches sich zwar zufälligerweise auch mit anderer ihren Absichten, die sie      
  15 gleichfalls auf sich selbst richten, vertragen kann, aber lange nicht zum Gesetze hinreichend      
  16 ist, weil die Ausnahmen, die man gelegentlich zu machen befugt ist, endlos      
  17 sind und gar nicht bestimmt in eine allgemeine Regel befaßt werden können. Es      
  18 kommt auf diese Art eine Harmonie heraus, die derjenigen ähnlich ist, welche ein      
  19 gewisses Spottgedicht auf die Seeleneintracht zweier sich zu Grunde richtenden      
  20 Eheleute schildert: O wundervolle Harmonie, was er will, will auch      
  21 sie etc., oder was von der Anheischigmachung König Franz des Ersten gegen      
  22 Kaiser Karl den Fünften erzählt wird: was mein Bruder Karl haben will (Mailand),      
  23 das will ich auch haben. Empirische Bestimmungsgründe taugen zu keiner      
  24 allgemeinen äußeren Gesetzgebung, aber auch eben so wenig zur innern; denn jeder      
  25 legt sein Subject, ein anderer aber ein anderes Subject der Neigung zum Grunde,      
  26 und in jedem Subject selber ist bald die, bald eine andere im Vorzuge des Einflusses.      
  27 Ein Gesetz ausfindig zu machen, das sie insgesammt unter dieser Bedingung,      
  28 nämlich mit allerseitiger Einstimmung, regierte, ist schlechterdings unmöglich.      
           
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§ 5.
     
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Aufgabe I
     
           
  31 Vorausgesetzt, daß die bloße gesetzgebende Form der Maximen allein      
  32 der zureichende Bestimmungsgrund eines Willens sei: die Beschaffenheit      
  33 desjenigen Willens zu finden, der dadurch allein bestimmbar ist.      
           
  34 Da die bloße Form des Gesetzes lediglich von der Vernunft vorgestellt      
  35 werden kann und mithin kein Gegenstand der Sinne ist, folglich auch      
  36 nicht unter die Erscheinungen gehört: so ist die Vorstellung derselben als      
  37 Bestimmungsgrund des Willens von allen Bestimmungsgründen der Begebenheiten      
  38 in der Natur nach dem Gesetze der Causalität unterschieden,      
           
     

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